Interview

Peter Dinklage: "Ich bin Cyrano als kleiner Freak"

Der Serien-Schlager "Game of Thrones" hat Peter Dinklage Ruhm als Fantasyheld gebracht. Im Musical "Cyrano" nach dem Theaterklassiker kommt nun der Schöngeist zum Zug.
von  Mariam Schaghaghi
Peter Dinklage verkörpert in Joe Wrights Film-Musical den höchst poetischen Cyrano de Bergerac.
Peter Dinklage verkörpert in Joe Wrights Film-Musical den höchst poetischen Cyrano de Bergerac. © Peter Mountain/ Metro-Goldwyn-Mayer Pictures

Die Fantasy-Serie "Game of Thrones" hat den kleinwüchsigen Schauspieler Peter Dinklage weltberühmt und so beliebt gemacht, dass seine Rolle innerhalb der Serie ausgebaut werden musste. Jetzt spielt der 1,35 m große US-Amerikaner eine sehr ungewöhnliche Hauptrolle, er brilliert auf der großen Leinwand als Cyrano de Bergerac. Wir haben mit dem 52-Jährigen via Zoom über Mut, Liebe und Stereotype gesprochen.

Der 52-jährige Film- und Theaterschauspieler Peter Dinklage aus New Jersey hat in London die Royal Academy of Dramatic Art besucht und wurde 2003 durch seine Hauptrolle in "Station Agent" bekannt. Von 2011 bis 2019 wirkte er in der US-Serie "Game of Thrones" mit.
Der 52-jährige Film- und Theaterschauspieler Peter Dinklage aus New Jersey hat in London die Royal Academy of Dramatic Art besucht und wurde 2003 durch seine Hauptrolle in "Station Agent" bekannt. Von 2011 bis 2019 wirkte er in der US-Serie "Game of Thrones" mit. © picture alliance/dpa | Chris Pizzello

AZ: Mister Dinklage, Sie scheinen eine Vorliebe für vielschichtige, clevere Figuren zu haben: Sie haben den Tyrion Lannister in "Game of Thrones" gespielt, Roman Lunyov in "I Care a Lot" und jetzt "Cyrano". Was reizt Sie an einer Rolle?
PETER DINKLAGE: Wie erkläre ich das am besten? Die Figuren sprechen mit mir, sie bauen eine Verbindung zu mir auf. Und ich möchte mich nicht wiederholen, ich will ja nicht immer das Gleiche spielen. Deshalb suche ich nach dem Besonderen. Ich mag es zum Beispiel sehr, wenn ich zwischen dem Bösewicht und dem Helden hin und her springe.

Und was war es bei dieser Rolle als verliebter Poet?
Dass ich hier singen und mit dem Schwert kämpfen sollte. Diese Mischung hatte ich noch nie, also wollte ich diese Herausforderung annehmen! Es geht mir gar nicht so sehr darum, dass ich das Publikum nicht langweilen will. Viel wichtiger ist mir, dass ich mich selbst nicht langweile, sondern amüsiere... Wenn man ein Mal sehr erfolgreich mit einer Rolle ist, landet man schnell in einer Schublade und bekommt nur noch ähnliche Figuren angeboten. Das möchte ich vermeiden, deshalb wähle ich lieber sehr unterschiedliche und vielschichtige Figuren. Plötzlich herum zu schmettern, war aufregend und herausfordernd. Für solche Rollen bin ich Schauspieler geworden.

Ihre Frau Erica Schmidt hat die Musicalversion dieses Klassikers für die Bühne geschrieben und auch das Drehbuch. Sie ersetzte die große Nase durch Ihren Kleinwuchs. War dieses Projekt vielleicht eine Art Liebesbrief an Sie?
Ein schöner Gedanke. Aber sie hatte mich gar nicht im Kopf, als sie für das Schreiben engagiert wurde. Ein Theater hatte sie gebeten, eine Neufassung des Originals von Edmond Rostand zu entwickeln. Dafür nahm sie ein paar mutige Änderungen vor: Erst mal hat sie ein Musical daraus gemacht, dann die Nase des Titelhelden ersetzt. Beides war extrem riskant, weil keiner wusste, wie das Publikum darauf reagieren würde. Cyrano ist berühmt für die Nase - wenn die fehlt, dann ist das eine große Sache. Meine Frau hat den Stoff auf originelle Weise neu interpretiert. Dieser Mut hat mich inspiriert. Kunst braucht das Risiko, um nicht obsolet zu werden. Statt eines Mannes mit dem berühmten Zinken sehen wir nun einen Kleinwüchsigen.

Peter Dinklage: In Cyrano geht es um ein universelles Gefühl

Sie haben kürzlich Disney heftig kritisiert und dem Filmgiganten bei "Schneewittchen" vorgeworfen, rückständige Vorurteile" gegenüber Kleinwüchsigen zu bedienen. Wie kam es zu dem kleinwüchsigen Cyrano?
Die Proben für das Theaterstück wurden bei uns zu Hause veranstaltet, wie so oft, und einige potenzielle Hauptdarsteller haben für die Rolle vorgesprochen. Ich habe mich für jeden Job am Set angeboten, ich hätte auch Kaffee serviert oder eine Minirolle übernommen. Bei den Auditions für die Rolle der Roxanne habe ich dann die Zeilen von Cyrano gelesen - und offensichtlich habe ich meine Frau am Ende überzeugt.

Im Film bezeichnet sich Cyrano nun als "Freak" oder "Monster". Sie sind gerne offensiv und kämpferisch, was Kleinwüchsigkeit angeht, aber schießen Sie da nicht übers Ziel hinaus?
Nun, im Kern geht es bei Cyrano ja nicht um die Nase oder den Kleinwuchs, sondern um ein universelles Gefühl: dass man vor dem Menschen steht, den man liebt, und Panik hat, dass diese Liebe nicht erwidert wird. Ich finde diese neue Version von Cyrano fantastisch und verrückt, und ich habe gefleht, Teil dieser Geschichte sein zu dürfen.

Was waren die größten Veränderungen, die vorgenommen werden mussten, um das Theaterstück für die große Leinwand zu adaptieren?
Film und Theater sind ganz unterschiedliche Kunstformen, das war tatsächlich eine Menge Arbeit. Auf einer Bühne ist alles live. Man bekommt die Reaktion des Publikums hautnah mit - und macht natürlich auch mal Fehler. Wenn etwas nicht klappt, spielt man es nicht einfach noch mal. Allerdings ist das Theaterpublikum auch sehr gnädig und vergibt Fehler. Beim Film ist das etwas anderes. Da hat man den Anspruch, so gut wie möglich zu sein, denn es ist kein vergänglicher Auftritt, sondern ein Moment für die Ewigkeit. Wenn man alles gibt und am Ende eine großartige Szene entsteht, ist das ein außergewöhnliches Gefühl. Es gibt nichts Besseres!

In Ihrer kreativen Zelle gab es eine weitere Künstler-Konstellation: Regie führte Joe Wright, von dem Werke wie "Atonement" oder "Anna Karenina" stammen.
Joe hatte die neue Cyrano-Version schon früh am Theater gesehen, weil seine Lebenspartnerin Haley Bennett dort die Roxanne spielte. Er verliebte sich in diese Produktion und wollte sie unbedingt verfilmen. Er war es auch, der unbedingt die Konstellation aus Erica als Autorin, und Haley und mir als Hauptdarsteller-Paar beibehalten wollte. Wir waren sofort dabei, wir kennen ja Joes romantische Meisterwerke.

"Die Liebe ist keine neue Erfindung, oder?"

Ein jugendliches Publikum kennt sicher Graphic Novels, aber nicht unbedingt Cyrano de Bergerac. Glauben Sie, dass der Stoff auch bei denen funktioniert?
Na ja, die Liebe ist keine neue Erfindung, oder? Seit Anbeginn der Zeit sehnen sich die Menschen nach Liebe - und kennen die Angst vor einseitiger Liebe. Außerdem geht es auch um die Frage, was der Unterschied ist zwischen Freundschaft, Liebe und leidenschaftlicher Verliebtheit. Auch so ein universelles Thema! So lange Menschen diese Gefühle spüren, werden Autoren Stoffe dazu verfassen, und das Publikum wird von den Storys in den Bann gezogen.

Sie sind optimistisch, dass das heute so gut wie bei Shakespeare oder Rostand läuft?
Die Geschichte von Cyrano war nie bedeutender als heute, in der Zeit des Internets. Wir alle verstecken uns hinter unseren glattgebügelten Online-Profilen und wollen so perfekt wie möglich aussehen, damit jeder Makel verborgen bleibt. Noch nie in der Geschichte der Menschheit war es so leicht, sein wahres Ich zu verstecken - und dann darunter zu leiden. Wir können so viele Menschen über das Internet erreichen, aber dann bauen wir eine Person auf, die gar nicht existiert. Das Internet macht es einem leider viel zu leicht, nicht man selbst zu sein.

Wir sind auf Instagram und Co. also alle ein bisschen Cyrano?
Nur in der Therapie versucht man herauszufinden, wer man wirklich ist, hinter allen neurotischen Zwängen. Aber Liebe reagiert immer auf das wahre Selbst, egal wie gut man es zu verstecken versucht. Genau daran erkennt man doch wahre Liebe - sie dringt zum wahren Kern vor, durch alle Schutzschichten hindurch, die man sich über die Jahre aufgebaut hat. Die Geschichte Cyranos ist 120 Jahre alt, aber so aktuell wie jetzt war sie noch nie.

Die Musical-Version wurde zuerst am Theater Off-Broadway aufgeführt, auch mit Ihnen. Wie war Ihre Erfahrung auf der Bühne?
Wir hatten den großen Luxus, klein anfangen zu können. So konnte sich das Stück im Laufe der Zeit entwickeln und selbst finden. Erica hat immer wieder daran gearbeitet. Wir hatten bei der Premiere auch nicht viele Kritiker eingeladen, die gleich die erste Vorführung besprochen haben. Daher kam das Publikum ohne besondere Erwartungen ins Theater. Das nahm uns den Druck. Erst nach einem Jahr haben wir die Show vor einem wirklich großen New Yorker Publikum gezeigt. Diese Erfahrung gab uns die Sicherheit, daraus auch einen tollen Film zu machen.

Wie stressig wurde der Dreh für Sie? Sie haben die Songs nicht vorab im Studio aufgenommen, sondern sangen live, während gedreht wurde.
Der Dreh war für uns alle extrem emotional. Und das mitten in der Pandemie, es war also eine doppelte Belastung. Aber weil wir wussten, wie außergewöhnlich diese Zeit für uns ist, mussten wir uns auch nicht verstellen. Wir haben unsere Herzen geöffnet, waren für einander da und haben immer Verständnis aufgebracht. Das hat uns beflügelt. Immerhin war es für die meisten von uns der erste Job seit Monaten. Wir waren hungrig nach Arbeit und bereit, alles zu geben.

Für Schauspieler gibt es kein Homeoffice...
So banal es klingt: ja! Wir haben durch die Pandemie das verloren, was uns am meisten am Herzen liegt. Schauspieler lieben ihren Beruf, sie haben echte Leidenschaft dafür. Sie brauchen das Publikum. Und alles war plötzlich weg, ersatzlos gestrichen. Dazu kamen auch existenzielle Sorgen. Das alles hat sich natürlich angestaut, und am Set wurde alles endlich entfesselt. Einige haben während des Drehs immer wieder geweint, weil es ein bisschen viel war. Aber wir haben uns gegenseitig aufgefangen. Eine unvergessliche Zeit.

War es für Sie befremdlich, zum ersten Mal vor der Kamera zu singen?
Es war ein sehr komisches Gefühl. Aber ich liebe Filmmusicals, ob "West Side Story" oder "Singing in the Rain". Diese Filme haben die Macht, das Publikum glücklich zu machen. Das schafft kein anderes Genre in dem Ausmaß. Ich wusste, dass ich einigermaßen singen kann - wenn man sich nur traut und von ganzem Herzen singt - dann geht's. Auch viele meiner Lieblingssänger haben keine Opernstimme. Es ist dann etwas anderes, das ihre Musik magisch macht: Sie singen mit ihrer Seele, deshalb heißt wohl eine ganze Musikrichtung "Soul". Ein Beispiel ist Matt Berninger von "The National". Er schrieb die Musik für diesen Film und gehört zu denen, die ihre Seele in die Songs geben.

Jetzt kommt der Film in die Kinos. Sind Sie nervös, gerade wegen Ihres Einsatzes für Kleinwüchsige, ob "Cyrano" sich als ein gutes Medium für diese Sache erweist?
Gerade bin ich einfach nur müde. Aber dass "Cyrano" nun ins Kino kommt, ist ein Traum. Es ist mir eine Ehre, darüber sprechen zu können, eben weil mir die Themen des Stoffes so sehr am Herzen liegen, was die Liebe und auch die Sichtweise von Kleinwüchsigen angeht. Ich stehe dahinter, ich glaube daran und freue mich, das nun mit der Welt teilen zu können. Ich bin am Ende einer sehr langen Reise angekommen und es fühlt sich wunderbar an.

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