"Parallele Mütter" von Pedro Almodóvar: Alle Zutaten für großes Kino

Pedro Almodóvar wollte schon aufhören, hat dann aber mit "Parallele Mütter" ein Meisterwerk geschaffen.
von  Adrian Prechtel
Ana (Milena Smit) und Janis (Penélope Cruz) sind beide alleinerziehende Mütter, doch bald eint sie viel mehr als das.
Ana (Milena Smit) und Janis (Penélope Cruz) sind beide alleinerziehende Mütter, doch bald eint sie viel mehr als das. © El Deseo/Studiokanal

Hart, schmutzig, witzig hat Pedro Almdóvar vor gut 40 Jahren begonnen, schaffte dann den Durchbruch mit frechen Komödien. Er erfand das verkitschte Melodram neu, aber intensiver und ohne falsche Gefühle, hatte liberale gesellschaftliche Botschaften gegenüber der katholischen Kirche, gegen Konservativität und die Ignoranz gegenüber anderen sexuellen Orientierungen. Er erstarrte dabei nur manchmal in grellbunter Oberfläche. Doch jetzt hat er wieder ein Meisterwerk geliefert: "Parallele Mütter" ist ein unfassbar dichtes, spannendes Drama, das fast alle Aspekte seines Werkes meisterhaft zusammenbringt.

One-Nachmittags-Stand: Mix aus lässigem Sex, Politik und gesellschaftlicher Aufklärung

Am Beginn steht Bewunderungs-Sex: Die erfolgreiche Agenturfotografin Janis (Penélope Cruz) ist auch politisch aktiv, weil ihr Urgroßvater immer noch in einem Massengrab verscharrt am Rande des Dorfes ihrer Familie liegt. Nach einem Shooting für einen Politmagazin-Titel schläft sie mit dem Star-Anthropologen (Israel Elejalde), der als Forensiker auch nach Gräbern ermordeter Republikaner forscht und die Gesellschaft couragiert mit ihrer faschistischen Franco-Vergangenheit konfrontiert.

Regisseur Pedro Almodovar und Schauspielerin Penélope Cruz. (Archivbild 2020)
Regisseur Pedro Almodovar und Schauspielerin Penélope Cruz. (Archivbild 2020) © dpa

Mit dem schönen One-Nachmittags-Stand verbindet Almodóvar lässig Sex, Politik und gesellschaftliche Aufklärung, indem er zeigt: Nicht nur Personen können Leichen im Keller haben, sondern auch ganze Gesellschaften, die über Generationen Psychen verwunden oder verschmutzen können, sei es durch Verdrängung von Schuld oder ungelösten Schmerz. Aber das ist nur eine der interessanten Hintergrundgeschichten des Films, in dem es auch um das Herkommen und um Heimat geht.

Solidaritätsfreundschaft mit 20 Jahren Altersunterschied

Janis jedenfalls wird schwanger. Und weil sie - vor lauter Job und Engagement - als 40-Jährige eh spät dran ist, will sie das Kind unbedingt bekommen, ohne ihn überhaupt zu fragen.

Auf der Entbindungsstation hat Janis die gut zwanzig Jahre jüngere Ana (Milena Smit) als Zimmergenossin, die wiederum bei einem brutalen Übergriff in der Schule schwanger wurde.

Die beiden schließen als zukünftig alleinerziehende Mütter eine Solidaritätsfreundschaft, die bald wieder verebbt. Bis von den folgenden Frühkindheiten eine bald tragisch endet, die andere geglückt weitergeht.

"Parallele Mütter" kommt ohne Klischees aus

So gerät man in ein intensivstes Wechselbad zwischen Mutterliebe und Euphorie sowie Zweifel und Tod. Und alles bleibt klischeefrei sowohl bei der anfangs unsicheren Jungmutter Ana wie der stark im Leben stehenden Janis. Beide führt Almodóvar durch einen atemberaubenden dramaturgischen Kunstgriff und größtmögliche psychologische Verwicklungen wieder eng zusammen, bis hin zu einem scheiternden lesbischen Liebesversuch. Dass Almodóvar fast alle Schichten seiner Geschichte wieder über Frauenfiguren transportiert - wie schon bei "Alles über meine Mutter" (1999) oder "Volver" (2006) - überrascht nicht bei diesem differenzierten, psychologisch subtilen Frauenzeichner.

Über weitere Mutterfiguren erweitert Almodóvar sein Drama noch zu ganzen Familienaufstellungen. Denn Anas im Krankenhaus auftauchende Mutter (Aitana Sánchez-Gijón) entpuppt sich als Egozentrikerin, die mit gewissem Recht als Schauspielerin endlich durchstarten will anstatt sich um einen Enkel zu kümmern.

Janis wiederum hatte eine bindungsunfähige, drogenabhängige Hippiemutter, sodass bei ihr die Großmutter einsprang. Dieses tiefenpsychologische Feld stellt auch an uns Zuschauer die Frage, wie frei wir selbst sind in unseren familiären Prägungen und Mustern.

Pedro Almodóvar: Sein letztes Meisterwerk?

Almodóvar hatte seit Jahren angekündigt, keinen Film mehr drehen zu wollen: Depressionen, Alter, chronische Schmerzen hinderten ihn.

Und was passiert? Er gewinnt Penélope Cruz für eine superkomplexe starke Rolle, bindet den Teenie-Serienstar Milena Smit ein, die den Zuschauer durch die Intensität des Spiels umhaut - und schafft einen Film, der alles vereint, was Kino zu einer bewegend großen Sache machen kann: eine eigene farbstarke Bildersprache, eine nachdenkenswerte Geschichte und lockende, talentierte Stars.

Dabei fesselt "Parallele Mütter" noch über den Abspann hinaus, je länger man - Schicht um Schicht - über immer weitere psychologische Wahrheiten dieses Meisterwerkes nachdenkt.


Kino: Arena, Rio (beide deutsch und OmU), Studio Isabella (OmU), Solln, Leopold, City-Atelier, Neues Rex, Theatiner Filmtheater (OmU)
Regie: Pedro Almodóvar (Spanien, 123 Minuten)

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