Paolo Sorrentino zu "La Grande Bellezza": Bye Bye Bunga Bunga
Zuletzt arbeitete Paolo Sorrentino mit Sean Penn am Musikerporträt „This Must Be The Place”. Sein neuer Film „La Grande Belezza”, ein Abgesang auf italienische Dekadenz, läuft jetzt auf dem Filmfest
In Cannes wurde Paolo Sorrentino für „La Grande Bellezza” gefeiert. Das Filmfest München widmet ihm eine Hommage. Der 43-jährige Autor und Regisseur über Schönheit und Dekadenz, Erotik des Tanzes und die Krise in Italien.
AZ: Signore Sorrentino, treten Sie in die Fußstapfen von Fellinis „La Dolce Vita”?
PAOLO SORRENTINO: Ein Vergleich wäre mir extrem unangenehm. „La Dolce Vita” ist das ultimative Meisterwerk eines unvergesslichen Regisseurs, mit dessen Werk ich aufgewachsen bin. „La Grande Bellezza” ist nur ein Film. Fellini ist einzigartig, niemand kommt an ihn heran. Es gibt vielleicht eine Ähnlichkeit in Thema und Atmosphäre, aber mehr nicht.
Ist Ihr Film nicht nur eine Liebeserklärung an die ewige Stadt, sondern auch per se an die Schönheit?
Als Neapolitaner, der jetzt in Rom lebt, bin jeden Tag aufs Neue fasziniert. Deshalb wollte ich einen Film über diese Stadt realisieren, über ihr Charisma und ihre Bewohner. Ich habe ein Porträt entworfen, das die Schönheit feiert, auch in der Vulgarität und der Erbärmlichkeit des Menschen. Schönheit kann sich in verschiedenen Formen ausdrücken. Ich mag diese Szenen, wo sich die Leute die Seele aus dem Leib tanzen und ihnen das Wasser nur so runter läuft, eine ganz spezielle Erotik. Schönheit hindert uns vor dem Absturz ins Chaos und macht das Leben erträglich. Ein Film sollte auch nicht hässlich sein. In Rom kann man sowieso nur einen optisch tollen Film drehen. Allein die Gebäude sind von atemberaubender Perfektion. Ich flaniere heute noch oft wie ein Tourist durch die Straßen.
Wer ist die Hauptfigur, dieser etwas aus der Zeit gefallene Mann?
Jep Gambardella ist eine desillusionierte Persönlichkeit mit Herz, die sich in Zynismus flüchtet, wie so viele heute. Trotz Alter und Erfahrung sucht er immer noch die Schönheit in einer dekadenten Welt. Er steht auch für eine bestimmte Art von Neapolitaner, so zwischen Dandy und vornehmen Herrn mit London-Style und Eleganz, aber kein Snob. Dieser Typus von Mann mit Hang zur Selbstironie verschwindet leider.
Sie feiern maßlosen Hedonismus und Dekadenz.
In der Geschichte gab es immer lange Epochen der Dekadenz. Ich zeige einen müden Hedonismus, der seinen Zenit überschritten hat. Die Hauptfigur hat jahrzehntelang Nächte auf rauschenden Festen verbracht, jetzt fehlt ihm die Lust, sich weiter zu amüsieren. Er reflektiert sein Leben und fragt sich, was wäre, wenn ich anders gehandelt hätte. Diese Frage betrifft jeden und treibt auch mich um. Die Zeit von Bunga Bunga ist definitiv vorbei, die Menschen kommen wieder auf den Boden der Tatsachen an.
Und tanzen trotz innerer Verzweiflung weiter auf dem Vulkan. Ein Reflex auf die Politik in Italien oder auch auf die generelle weltweite Krise?
Darauf zu antworten, würde zu weit führen. Ich bin kein Politiker.
Gibt es ein Rezept gegen die Krise?
Natürlich dürfen wir nicht die Augen vor den Fakten verschließen. Aber die Krise ist nicht das einzige, was uns bestimmt. Alles driftet auseinander. Die Oberen Zehntausend interessieren sich nicht für kreative Prozesse und unsere Politiker pfeifen auf Verantwortung, halten Kultur für überflüssig. Also sollten wir Künstler Verantwortung übernehmen und nicht immer nur jammern. Mein Film handelt gleichermaßen von Italien als einem Land der verschenkten Möglichkeiten. Wir Italiener haben viele Chancen einfach verpasst, ebenfalls einer der Gründe für das Dilemma. Da muss sich jeder an die eigene Nase fassen. Und wir Filmemacher hätten vielleicht manchmal überlegen sollen, was wir da überhaupt auf die Leinwand bringen. Alle müssen sich den unangenehmen Themen stellen. „Weiter so” geht nicht.
heute, Diensatg, 19.30 Uhr, HFF AudimaxX (asuverkauft), Paolo Sorrentino und Produzent Nicola Giuliano diskutieren im Anschluss an den Film; Do, 16.30 Uhr, HFF AudimaxX, Sa, , 16.30 Uhr, ArrI Kino; außerdem kommt Sorrentino heute zwischen 18 und 19 Uhr auch zu „Filmmakers Live” in die Black-Box, Gasteig, Eintritt frei