Neuverfilmung von "David Copperfield": Ein wunderbarer Lebenszirkus
Werktreu oder modern? Bei der Adaption von Literaturklassikern stellt sich schnell die Frage nach der Herangehensweise. Im Fall von Charles Dickens war die Bandbreite bisher eher eng: historisierter Sozial-Realismus mit Schilderung eines harten Milieus wie zum Beispiel in Roman Polanski "Oliver Twist"-Verfilmung. Armando Iannucci, bekannt für seine beißenden Politsatiren wie "The Death of Stalin", bricht mit dieser Tradition nun radikal - ohne die Sprachgewalt und den inhaltlichen Kern der Vorlage außen vor zu lassen.
Seine vor Witz und Tempo überschäumende Version von "David Copperfield" explodiert auf der Leinwand förmlich vor lauter Farben und visuellen Einfällen, und beruft sich doch auf den episodischen Ursprung des 1850 publizierten Bildungsromans.
Dev Patel als David Copperfield: Allwissender Ich-Erzähler
Wie bei Dickens tritt besagter David Copperfield (Dev Patel) als allwissender Ich-Erzähler auf, wenn er gleich zu Beginn im voll besetzten Theater seine Autobiografie vorträgt. So lässt dieser gemachte Mann, dieser Sprachartist, den Zuschauer auch voller Vorfreude an seiner eigenen Geburt teilhaben - für seine griesgrämige Tante Betsey (Tilda Swinton) ist sie aber gleich ein Reinfall. Schließlich hatten sich alle ein Mädchen gewünscht.
Trotz Startschwierigkeiten, David wächst ohne Vater und in ärmlichen Verhältnissen auf, ist die Kindheit für den Träumer ein Quell der Freude. Seine schönste Zeit verbringt er an der Küste in Yarmouth in einem umgedrehten Wohn-Schiff im Kreis seiner Ersatzfamilie, der glucksenden Haushälterin (Daisy May Cooper) und ihrem nicht weniger fröhlichen Bruder (Paul Whitehouse).

Das Blatt ändert sich, als seine Mutter (Morfydd Clark) aus vor allem monetären Gründen den eiskalten Murdstone (Darren Boyd) heiratet. Bald wird der gegängelte Junge nach London zum chronisch abgebrannten Mr. Micawber (Peter Capaldi) abgeschoben, wo er seine Kröten in einer heruntergekommenen Flaschenfabrik verdienen muss.
Das Skurrile, der Slapstick steht bei Ianucci im Vordergrund
Andere Regisseure hätten diesen sozialen Abstieg düster und mitleidlos inszeniert. Bei Iannucci dominiert aber auch hier das Skurrile, der Slapstick, etwa wenn Vormund Micawber alle Tricks aufwendet, um vor den hyänenhaften Gläubigern zu fliehen.
So bleibt der bewusst künstlich überhöhte, selbst mit Stummfilmeinlagen aufwartende Mix aus Monty Python und Jean-Pierre Jeunet ("Amélie") ein Panoptikum an abenteuerlichen Begegnungen - wie mit dem boshaften Pagenschnitt-Diener Uriah Heep (Ben Whishaw) oder dem vom kopflosen Tod von König Karl I. besessene, liebenswerte Spinner Mr. Dick (Hugh Laurie).
Die schillernde Nummernrevue wird dabei vom staunenden Erzähler David Copperfield zusammengehalten auf der Suche nach seiner Identität - klug besetzt mit dem aus "Slumdog Millionär" bekannten indischstämmigen Briten Dev Patel. Seine Bestimmung findet er immer im Schreiben oder beim Spiel mit der Sprache. Schließlich ist er erfolgreicher Schriftsteller geworden. Und so funktioniert die mutig zirzensische Neuverfilmung auch als Ode an die Kraft großer Literatur, die auch bittere Erinnerungen in etwas Produktives, Sinnstiftendes verwandeln kann.
Kino: Astor im Arri, Leopold, Rio, City (auch OmU), Museum (OV)
R: Armando Iannucci
(GB, 119 Min.)
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