Neues aus Venedig: Ein schwuler James Bond?

Venedig – Eine Frau wurde von den Produzenten bereits ausgeschlossen. Nach all den Diskussionen um die Frage, wie und wer der neue James Bond sein könnte, gab es jetzt auf der Filmbiennale eine weitere Idee zum Meisterspion: Wie wäre es mit schwul?
Daniel Craig hat sich seit 2021 noch nicht so sehr von seiner Rolle als 007 freigespielt, dass man nicht an den machistischen Weltenretter mit dem Martiniglas denken würde, wenn er auf der Leinwand erscheint. In Venedig gab er nun sein filmisches Outing: im Film "Queer" des Italieners Luca Guadagnino ("Call me by your name", 2017).
Daniel Craig trinkt hier auch eine Menge, ist dazu aber noch kokain- und heroinabhängig. Und für den Mann, der ab 2006 einen fast 70-jährigen Männlichkeitsmythos verkörperte – hetero, versteht sich –, ist es bestimmt der größte Imagebruch, wenn er jetzt einen Homosexuellen spielt: William S. Burroughs (1914 - 1997), einen offen schwulen Schriftsteller der sogenannten Beat-Generation – hier, in der Verfilmung seines autobiografischen Romans "Queer", on the Road in Südamerika 1952.
Expliziter Sex unter Männern
Der Roman ist sehr freizügig, der Film auch. Man sieht Craig, wie er sich in einen jungen Journalisten in Mexiko Stadt verliebt, ihn an sich bindet, verführt und expliziten Sex mit ihm hat. Später entjungfert er seinen jungen Freund, den er nie ganz unter Kontrolle bringt, auf der Rundreise rektal. Daneben geht es um Begehren, Abhängigkeit und ein schwules Leben in kompletter Offenheit, wie es in den USA so nicht möglich gewesen wäre, ganz zu schweigen vom Drogenkonsum.
Der Film ist kunstvoll, etwas langsam, in Kapitel – ohne echte Dramaturgie – untergliedert: ein sich Treibenlassen im Leben, das irgendwie stagniert zwischen Einzelabenteuern und Alkohol, sodass Craig/Borroughs am Ende wieder am Anfang des Filmes angelangt: in Mexiko, in denselben Bars, Restaurants und Hotels, bereichert immerhin um die Erfahrung echter, andererseits aber nur halb erwiderter Liebe.
Luca Guadagnino gelingt – bei einer klar Anfang der 1950er-Jahre erzählten Geschichte – eine Zeitlosigkeit, auch indem der Soundtrack sich aus allen Epochen seitdem bedient: über Bebop bis zu Rock im Stil der 1970er und Grunge mit Nirvana-Existenzialismus. Und modern wirkt die Geschichte, weil es hier kein Versteckspiel mit dem Schwulsein gibt.

Aus dem Leben eines Taugenichts
Warum gab es aber in der Pressevorstellung auch ein paar Buhrufe? Vielleicht weil das Ganze doch auch ein wenig die Langeweile ausstrahlte, die das drogenlastige Taugenichtsdasein in Mexiko hatte. Oder war es wieder die Irritation des Sex'? Denn insgesamt mutet das 81. Filmfestival am Lido seinen Galagästen viel Superstarsex zu: Nicole Kidman in "Babygirl" und jetzt Daniel Craig in "Queer". Fragt sich, ob morgen Joaquin Phoenix mit Lady Gaga im neuen "Joker" auch so viel riskieren?
Langeweile und Ratlosigkeit bei "Vermiglio" und "Harvest"
Nichts riskierte da der italienische Beitrag "Vermiglio" von Maura Delpero, der in alpiner Schönheit das Leben einer Dorfschullehrerfamilie erzählt: Am Ende verläuft die Zeit im Zuge der Jahreszeiten mit Tod und Geburten, Enttäuschungen, Kargheit und Feiern.
Und auch die deutsche Koproduktion "Harvest" über ein abgelegenes britisches Dorf, das vom Landbesitzer in eine Schaffarm verwandelt werden soll, hinterließ einen eher ratlos – auch wegen vieler merkwürdiger Figuren, deren Verhalten und Charakter man nie richtig verstehen konnte. Aber es sind ja noch sechs weitere Filme im Wettbewerb.