Neue Wagner-Doku: Wurst und Weihe
Er habe das Bühnenweihfestspiel nie verstanden, obwohl er es schon seit Jahren dirigiere, sagt ein Japaner. Aber er sei sich ganz sicher, dass es sehr tiefgründige Fragen behandle. Außerdem habe er die vier Stunden Musik in einer Version für Kinder auf unter 60 Minuten verdichtet, was ihm ohne jeden Substanzverlust gelungen sei.
Grundkenntnisse zu Wagner erwünscht
Dieser Dirigent ist einer der vielen Mitwirkenden in Axel Brüggemanns Dokumentarfilm "Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt", in dem mancherlei etwas exzentrische Ansicht vertreten wird. Der Titel beschreibt die 102 Minuten dieses Films recht zutreffend: Es handelt sich um eine Wundertüte über die Welt der Wagner-Anhänger, die selbst eine große Wundertüte darstellt. Für Uneingeweihte ist der Film weniger geeignet, weil er zumindest Grundkenntnisse über Leben und Werk des Musikdramatikers als bekannt voraussetzt.
Den roten Faden bilden pointierte und meist auch kluge Sätze des amerikanischen Journalisten Alex Ross ("Die Welt nach Wagner"). Auch ein Bayreuther Metzgerehepaar, das sich gegenseitig ständig ins Wort fällt, kehrt öfter wieder.
Film über Wagners Anhänger
Eingangs treffen sich organisierte Wagnerianer zu einer Verbandstagung im venezianischen Palazzo Vendramin, wo der Komponist 1883 an einem Herzanfall starb, nachdem er sich über seine Frau geärgert hatte. "Wagners Musik ist eine Religion für sich. Sie verbindet sich mit dem Kosmos und mit dem Wort Gottes", beschreibt eine der überwiegend älteren Herrschaften ihr Verhältnis zur Musik des Komponisten.
Erster Eindruck täuscht
In der ersten halben Stunde drängt sich der Eindruck auf, als stünden der Nationalsozialismus und der Antisemitismus als ziemlich dicke Elefanten im Raum. Doch der Film bewegt sich auf diesem Terrain souverän: Ein Fagottist der israelischen Oper spielt einen Ausschnitt aus "Tristan" auf einem Dach in Tel Aviv, der Nachkomme eines Emigranten aus Hanau zündet den Chanukka-Leuchter an und erklärt seinen Enkeln Wagner. Später erklärt der Regisseur Barrie Kosky souverän, wie weit der Antisemitismus das Werk Wagners berührt.
Mehr beflissene Korrektheit kann man nicht verlangen. Gruslig wird es, wenn ein wagnerianischer Scheich die Islamophobie des Westens mit dem europäischen Antisemitismus vergleicht. Da springt Brüggemann erschreckt zurück zum fränkischen Metzgerehepaar, um die Peinlichkeit humoristisch aufzufangen.
Einblick in die Bayreuther Festspiele
Zwischendurch erklärt Katharina Wagner, dass sich das Vergnügen, ein Wagner zu sein, bisweilen in Grenzen halte. Dann verspeist sie Bratwürste mit Mitarbeitern der Festspiele. Markus Söder wird wegen seiner Flüchtlingspolitik am Roten Teppich ausgebuht, Valery Gergiev fliegt vom Bayreuther Kleinflughafen ab. In Gesprächen mit Christian Thielemann und Musikerinnen des Festspielorchesters bekommt der Zuschauer einen Eindruck von den speziellen Verhältnissen im Orchestergraben des Festspielhauses.
Das alles ist, wenngleich nicht neu, so doch von einigem Unterhaltungswert. Aber selbst derjenige, der über Wagner alles weiß, dürfte kaum von Kevin Maynor gehört haben: Der schwarze Baptistenprediger hat in Newark, New Jersey, den "Ring des Nibelungen" auf dem Kirchenvorplatz aufgeführt.
"Wagnerismus" hat sich verändert
Beruhigt und staunend nimmt man zur Kenntnis, dass sich die rassistische und nationalistische Weltanschauung Wagners und seiner frühen Fans in eine humane Schrulle bürgerlicher Kreise auf der ganzen Welt verwandelt hat. Der heutige Wagnerismus ist offenbar mit der Zucht von Möpsen und dem Sammeln von Schnapsgläsern vergleichbar. Ein paar Profis verdienen Geld damit, aber mit Kunst und der komplexen Sphäre des Ästhetischen hat das Ganze nichts zu tun, wenn Brüggemann getraut werden darf. Aber da ist Vorsicht angebracht.
Regie: Axel Brüggemann, D, 102 Min., Kinos: City, am Wochenende auch im Neuen Rottmann und im ABC
- Themen:
- Kultur
- Richard Wagner