Neu im Kino: "Red Sparrow" in der AZ-Filmkritik

Sie kann alles: Eine amazonenhafte Freiheitsheldin sein wie im Milliardenerfolg "Tribute von Panem" oder eine ordinär aufgemotzte Alkoholikerin spielen ("American Hustle"). Sie erhielt einen Oscar für ihre Rolle als Borderlinerin ("Silver Linings") und verkörperte eine Wischmopp-Erfinderin ("Joy").
Und Jennifer Lawrence ist schön. Natürlich auch nackt, wie man sie – immer nur ein wenig verdeckt – in "Red Sparrow" sieht: wenn sie im harten Spezialagenten-Ausbildungslager lernt, ihren Körper als sexuelle Waffe einzusetzen oder bei einem Vergewaltigungsversuch unter der Dusche. Denn sie gerät in einem atemberaubend hin- und her pendelnden Doppelspiel zwischen die höchsten russisch-amerikanischen Geheimdienstfronten.
In "Red Sparrow" schaut man in die Machtzentrale des russischen Geheimdienstes und in deren Gesichter: Matthias Schoenaerts sieht nicht zufällig ein bisschen nach schön-jungem Putin aus, Charlotte Rampling ist die stalinistische Psychoausbilderin und Jeremy Irons der kaltbebrillte Intellektuelle.
"Atemberaubender Film"
Ein dramaturgisches Spannungselement ist für russlandkritische Westkinogänger die Frage, wie der Film das Problem zu lösen versucht, dass wir uns fast ausschließlich im russischen Rahmen bewegen, der Zuschauer aber eine Distanz "zum Feind" aufbauen soll. Denn die Identifikationsfigur, der "Red Sparrow" Lawrence, arbeitet ja anscheinend für diese "falsche Seite". Hierzu darf der oberste russische Geheimdienstgeneral (Irons), den Unterbau liefern: "Der Kalte Krieg ist nie zu Ende gegangen. Er ist nur in tausend Stücke zerbrochen!"
Und wenn er gegen Ende seinen ideologischen Hintergund offenbart, sagt er klar, dass der materialistische Westen, so verlockend er auch sei, auch nur eine "Scheinfreiheit" biete. Ansonsten hält sich dieser Spionagethriller aber nicht viel mit gesellschaftlichen oder ideologischen Fragen auf. So bleibt Moskau unoriginell kühl und grau, ist das Bolschoi-Ballett (wo Jennifer Lawrence durch eine Intrige als Prima Ballerina brutal stürzt) klassisch und mafiös. Wenigstens das Auslandseinsatz-Budapest darf bourgeoisen Altbau-Charme haben, wo Lawrence auf Joel Edgerton als CIA-Agent im Schwimmbad angesetzt wird.
Interessant ist bei alledem, dass es hier keinen Unterschied macht, ob diese Geschichte heute oder in den 50er-Jahren spielt: Alle alten Feindbilder greifen wieder, auch wenn Lawrence und ihre russischen Hintermänner heute eleganter und reicher angezogen sind, als es die Sowjetzeit erlaubt hätte. Atemberaubend ist der Film, dabei fast zu komplex und oft auch zu brutal. Und man könnte aus "Red Sparrow" durchaus intelligente Zwischentöne herausfiltern, aber die rückt die Verfilmung des Romans von Jason Matthews nie in den Vordergrund. So ist "Red Sparrow" vor allem eines: klassisch spannend, mit störend künstlichem russischen Akzent – nicht nur in der deutschen Synchronisation.
Kino: Cinemaxx, Gabriel, Royal, Münchner Freiheit; Mathäser (auch OV); Cinema, Museum (OV)
R: Francis Lawrence
(USA, 139 Min.)
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