Neu im Kino: "Happy End" in der AZ-Filmkritik
Michael Haneke hat uns Zuschauer oft durch harte Abenteuer geschickt: zukunftshellsichtig zum Beispiel schon 1992, als er die innere Verwahrlosung eines Jungen durch die neuen Medien in "Bennys Video“ aufdeckte. Oder wir erlebten den Irritationsschock, dass es grundlose Gewalt aus purer Gewaltlust geben kann ("Funny Games“). Wir blickten schon in die Abgründe sadomasochistischer Abhängigkeiten ("Die Klavierspielerin“) oder erlebten den Zusammenbruch der Zivilisation in "Zeit der Wölfe“. Wir konnten im "weißen Band“ ansehen, wie rigide, körperfeindliche Erziehung Menschen deformiert.
Zuletzt wurden wir von Michael Haneke 2013 aufgewühlt durch die "Liebe“ eines alten Mannes (Jean-Louis Trintignant), der seine sterbenskranke Frau im einem Befreiungsakt tötet. Jetzt ist "Happy End“ eine freie Fortsetzung vom oscar-gekrönten Sterbehilfe-Film "Liebe“ und erzählt auch wieder von diesem alten reichen Mann, einem Firmenpatriarchen. Dessen pragmatisch kalte Tochter (Isabelle Huppert) versucht, das Bauunternehmen im Familienbesitz zukunfts-fit zu machen für den europäischen Markt, auch durch Heirat mit einem englischen Ingenieursfirmenboss.
Und es gibt in der Kälte der Familie verlorene Nichten, Neffen, Enkel in einem leicht verhauenen, von der Moderne angekränkelten Haus in Calais. Womit ein weiterer Aspekt des Filmes angerissen ist: das Migrationsphänomen. Denn diese Ärmelkanal-Grenzstadt mit (inzwischen geräumten) wilden Flüchtlingscamps ist ein Ort, der Schlüsselbilder für die Umwälzungen und Grausamkeiten in unserer europäischen Wirklichkeit geliefert hat. Isabell Huppert wird minutenlang mit ihrem Auto den Abschirmzaun am Hafen und Englandtunneleingang entlangfahren, während sie am Handy versucht, die Familien- und Unternehmenstrümmer nach einem tödlichen Baustellenunfall zu ordnen.
Hanecke bleibt hinter den Erwartungen zurück
In diesem Gesamt-Setting von schamloser Großbourgeoisie und eingestreuter sozialer Wirklichkeit misslingt Haneke aber so ziemlich alles. Schon der anfängliche filmisch-experimentelle Versuch, einen voyeuristischen Familienkrimi aus der Sicht der Enkelin mit Handykamera-Beobachtungen einzubauen, ermüdet und ist wirr.
Die Abgründe hinter bürgerlichen Fassaden aus Depressionen, Nichtsnutzigkeitsgefühlen und Ehen, hinter deren Rücken perverse Phantasien ausgelebt werden, hat man schon oft – auch bei Haneke selbst – psychologisch packender und schlüssiger gesehen.
Und wenn der komplexbeladene, hilflos rebellische Sohn der Firmenchefin (Franz Rogowski) fünf dunkelhäutige Flüchtlinge auf das hochgestochene Hochzeitsfest seiner Mutter (Huppert) mitbringt, ist dieses Party-Crashen sprengkraftlos ans Filmende gesetzt.
So wird hier das große Thema des Einbruchs des Fremden in unsere gewohnte Lebenswirklichkeit lasch verpuffend verschenkt. Und wenn Haneke dann noch den Faden des Alters(selbst)mords aus "Liebe“ wieder aufnimmt, wirkt das hier jetzt unnatürlich aufgesetzt.
So ist "Happy End“, ein Alterswerk des 75-jährigen Haneke, aber kein weiteres Meisterwerk, sondern Stückwerk geworden, das uns auch nicht aufrütteln kann aus unserer bürgerlichen Bequemlichkeit – was ja sonst immer eine der großen Stärken aller Filme dieses furchtlosen österreichischen Filmgenies ist.
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Kino: Arena, Atelier, Münchner Freiheit, Rio-Filmpalast, Theatiner
Buch & Regie: Michael Haneke (F/D/A, 110 Min.)
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