Neu im Kino: "Gaugin" in der AZ-Filmkritik

Wie sieht es im Paradies aus? Man braucht eigentlich nur durch die einschlägigen Reisekataloge zu blättern, sie quellen über vor sagenhaften Stränden, umgeben von unversehrter Natur. Lässt man Liegestühle und Yachten einmal weg, dürfte das Paul Gauguins Vorstellung von einer heilen Welt ziemlich nahe kommen. Er hat seine Träume schließlich in farbrauschende Bilder umgesetzt, die heute die Ausstellungshitlisten anführen – aktuell stehen sich die Leute vor dem Pariser Grand Palais die Beine in den Bauch. Aber seine polynesischen Idyllen sind halt gar zu schön und die Szenen so friedlich, paradiesisch eben.
Nur die Sache mit den Mädchen darf man sich nicht so genau ansehen: Das ist mehr als nur heikel. Deshalb konzentriert sich Regisseur und Drehbuchautor Edouard Deluc in seinem schlicht "Gauguin" genannten Film lieber auf die Konflikte eines verkannten Künstlers, dem die französische Heimat viel zu eng geworden ist und der sich schweren Herzens von Frau und Kindern trennt, um seine Visionen in der Südsee zu leben. Vincent Cassel spielt diesen Verzweifelten so überzeugend intensiv, dass man die Schweißtropfen zu spüren glaubt, die der schwerkranke, bald völlig verarmte Künstler bei der rastlosen Arbeit an der Staffelei vergießt. Oder beim Schuften im Hafen von Papeete.
Szenisch stark - wenig echt
Sowieso ist die Realität ernüchternd, das Paradies, das sich Gauguin erhofft hat, längst von den Kolonialherren europäisiert und damit auch christlich missioniert. Er bricht auf in die Wildnis Tahitis, wo ihm das Mädchen Tehura als Frau angeboten wird, natürlich nicht, ohne dessen Zustimmung abzufragen. Sie nickt lächelnd, das ist heutzutage ganz wichtig: Alles geschieht im Einvernehmen! Nur ist die Film-Tehura eben keine 13-Jährige wie in Gauguins wahrem Liebesleben, sondern eine junge Erwachsene. Nach einer Phase erneut aufblühender Schaffenskraft bleiben die Schwierigkeiten nicht aus, die Schöne langweilt sich zwischen endlosem Modellliegen und Ehealltag in einer kargen Hütte.
Doch das eigentliche Problem blendet Deluc vollkommen aus: Tehura ist in Wirklichkeit nicht die einzige minderjährige Gespielin, die Gauguin auch noch mit der Syphilis ansteckt.
Deshalb ist dieser zwischendurch szenisch starke Film mit seinen sagenhaften Bildern am Ende so wenig echt wie der Himmel auf Erden, den sich Gauguin in der Südsee erhofft hat.
Kino: City, Münchner Freiheit
Buch und Regie: Edouard Deluc
(F, 104 Min.)
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