Neu im Kino: "Casting" in der AZ-Filmkritik
Nicht erst seit dem Harvey-Weinstein-Skandal ist die "Casting-Couch" in Verruf. Wer sich wegen des Filmtitels nun Schlüpfriges erwartet, irrt. Das berüchtigte Möbelstück gibt es hier nicht, keinen Sex und auch keine Casting-Show. Ort des Geschehens: Ein Studio. Sechs Tage vor Dreh ist bei der Neuverfilmung von Fassbinders "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" fürs Fernsehen Feuer unterm Dach. Die Regisseurin, bisher für Dokumentationen zuständig, dreht ihren ersten Spielfilm und nervt alle durch Unsicherheit bei der Besetzung der Hauptrolle. Der Sender will einen Star, sie eine Persönlichkeit mit Gefühlen.
Die Kandidatinnen lächeln trotz Wut im Bauch, auch wenn sie vorher am Team ihren Frust auslassen oder es eigentlich unter ihrer Würde finden, das Vorstellungsprozedere überhaupt zu durchlaufen. Und der arbeitslose Gerwin (Andreas Lust), ein Ex-Schauspieler, der nur als Anspielpartner engagiert war, wittert plötzlich die Chance: Als der Hauptdarsteller absagt, träumt er von Anerkennung und Karriere – und kriegt: einen Mini-Auftritt!
Schmerzhaft schön und couragiert
Nicolas Wackerbarths entlarvende Tragikomödie führt das Filmgeschäft als Welt peinlicher Eitelkeiten und billiger Machtspielchen vor, in der jeder den anderen aus Eigennutz freundlich anlügt. Man gibt sich locker und macht auf Filmfamilie, doch dahinter steckt kühles Kalkül.
Fast dokumentarisch muten die schäbigen Kämpfe an, die fest gezimmerten Hierarchien, die sich selbst überschätzenden Egos, der knallharte Wettbewerb. Da hat die Fernsehredakteurin das letzte Wort, der Produzent tanzt nach ihrer Pfeife und eine wunderbar unentschlossene Judith Engels als Regisseurin verweigert sich faulen Kompromissen, auch auf die Gefahr hin, gefeuert zu werden.
Kein Glamour, nur Stress, Druck und Angst, die Ansprüche nicht erfüllen zu können und "mit vierzig Jahren zur Resterampe zu gehören". Besser als Andrea Sawatzki, Marie-Lou Selem, Corinna Kirchoff und Ursina Lardi kann man den Ritt auf Messers Schneide nicht spielen. Ihre absolute Glaubwürdigkeit liegt in der Improvisation und darin, sich mit Haut und Haar auszuliefern. Ein Stück nah an der Realität: Schmerzhaft schön und couragiert.
Kino: Arena, Rio
Buch und Regie: Nicolas Wackerbarth
(D, 94 Min.)
- Themen:
- Arbeitslosigkeit