Nach Kinostart: So ist der neue Bond-Film
Das ist mal eine Eröffnung! Zehn Minuten nach Filmbeginn schießt einem das Adrenalin aus allen Poren und man reibt die nassgeschwitzten Handflächen an den Hosenbeinen trocken. Erst schwebt die Kamera an der Seite eines eilenden Paares durch das fröhliche bunte Treiben am „Tag der Toten“ in Mexiko-Stadt. Magische Leichtigkeit inmitten des Tumults, schöne Farben, tolle Nah- und Totale-Aufnahmen.
"Spectre" geht tief in die Geschichte von James Bond
Dann sprengt unser Held – unter der Maske steckt natürlich James Bond – wohl eher versehentlich die Fassade eines Hauses ab und muss sich sogleich selbst aus dem einstürzenden Gemäuer retten. Und schließlich wird er in einen Kampf im Hubschrauber verwickelt, der über der unschuldig feiernden Menge trudelt – großartig!
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Man hatte ja so seine Bedenken: Wie wollte man nach „Skyfall“ noch Neues über James Bond erzählen? Der Geheimagent hatte plötzlich eine Biografie mit Kindheit und Knacks in der Seele: Aufgewachsen im Waisenhaus. Chefin M als Mutterersatz. – Da kann man doch jetzt nicht wieder einen normalen Actionfilm abliefern. Kiss, kiss, bang, bang wie gehabt wäre zu wenig.
Das tut Sam Mendes auch nicht: Er geht noch einmal tiefer zurück in die Geschichte: einmal in die Familiengeschichte der Figur James Bond, einmal in die Geschichte der James-Bond-Filme. Das ist verdammt raffiniert. Nur tut einem jetzt schon der arme Regiewurm leid, der das noch toppen soll. Was will man sich jetzt, da alles in die Tiefe erzählt ist, noch einfallen lassen, um die Reihe in die Zukunft zu führen? Muss man sich auf unzählige Mini-Abenteuer einstellen mit Filmtiteln wie bei Benjamin Blümchen? „James Bond und der böse Weltenzerstörer“, „James Bond findet einen Atom-Schatz“. Schwierig.
Aktuell jedenfalls muss James Bond sich mit dem neuen Chef der Nationalen Sicherheitsbehörde auseinandersetzen, der den MI 6 abschaffen, und so manchem Bösewicht, der ihn abmurksen will.
Christoph Waltz als freundlich daherkommender Bösewicht
Als großes Thema im Hintergrund steht die Macht, die durch weltweit vernetzte Informationen zu haben ist. Wer braucht noch Agenten mit Fäusten, wenn er alle Probleme am Computer lösen kann? Aber solange auch nur eine Frau unbemannt und nur eine Patrone unabgefeuert ist, wird James Bond unterwegs sein. Diesmal darf sich der Geheimagent also kurz mit der wunderschönen Monica Bellucci (als frisch verwitwete Informantin Lucia Sciarra) vergnügen und dauerhafter mit Léa Seydoux (als zu beschützendes Bond-Girl Madeleine Swann).
Den Realismus, der mit Daniel Craig endgültig Einzug in Bonds Welt gehalten hat, behält auch „Spectre“ bei. Es gibt keine bizarren Gestalten wie Beißer und keine absurden Ausflüge in den Weltraum.
Den titelgebenden Namen dieser Organisation dunkler Gestalten und weißer Katzen hat man schon in frühen Bond-Filmen gehört. Spectre hieß auch mal Phantom und war eine Versammlung der finstersten, bösesten, verbrecherischsten Gestalten der Welt. Man hat den ganzen Zirkus aber kaum mehr ernst genommen, spätestens, seit er bei „Austin Powers“ so großartig parodiert wurde. Daran denkt man in „Spectre“ nicht mehr. Diese Organisation ist wirklich unheimlich, weil sie ihr Handwerk so beiläufig ausübt.
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Auch in "Spectre" vermisst man Judy Dench als M
Christoph Waltz, soviel darf man verraten, spielt den Kopf des Bösen. Wie immer in solchen Rollen wirkt er im Urbösen fast übertrieben freundlich, der Wahnsinn bleibt vollständig in der Seele verborgen. Javier Bardem in „Skyfall“ stand das Irre ins Gesicht geschrieben, was besser passte. Neben Mexiko-Stadt geht die Reise auch nach Österreich, nach Rom und nach Marokko. Es gibt ein willkommenes Wiedersehen mit Ben Whishaw als Techniktüftler Q, den man nun nach anfänglicher Ablehnung endlich ernst nehmen kann, und mit Naomie Harris als Moneypenny.
An Ralph Fiennes als neuen Bond-Chef M wird man sich gewöhnen. Dennoch wird man Judy Dench in dieser Rolle ewig vermissen.
R: Sam Mendes (GB / USA, 148 Min.) Kino: Der Film läuft in 20 Kinos in München