Modern, grün und einfach revolutionär
Worin sind wir Deutschen Weltmeister? Im Mülltrennen! Aber anstatt sich masochistisch über diese Disziplin zu mokieren, sollte man eigentlich stolz auf diese Tugend sein. Auf der Architekturbiennale in den Giardini im nicht gerade grünen Venedig überträgt der Deutsche National-Pavillon diese Idee auf die Architektur. Und zeigt: zukunfts-zugewandte Gestaltung muss nicht dogmatisch unsinnlich sein.
Der Münchner Kurator, oder wie es korrekter Generalkommissar der deutschen Selbstdarstellung heißt, Muck Petzet, ist Architekt und Sohn eines bayerischen und später internationalen Denkmalpflegers. Und so heißt das Motto hier englisch-international, aber unprotzig: „Reduce, Reuse, Recycle”, also Reduzierung, Wiederverwendung, Wiederverwertung – drei Begriffe, die nicht zufällig den besten Umgang mit Müll und seine Umwertung zum Rohstoff beschreiben. Und hier versuchen deutsche Architekten weniger spektakuläre, populäre Landmarken zu entwerfen, dafür aber lebensnahe Räume.
Muck Petzet selbst hat bescheidenerweise kein eigenes Projekt in seinen Pavillon aufgenommen. Das passt zu ihm, der sich im T-Shirt unter die Eröffnungsgäste mischt und nur wenn er erkannt wird, seine Philosophie erklärt: „Je weniger ich ein vorhandenes Gebäude, auch wenn es nur geringe Wertschätzung hat, wie viele Nachkriegsbauten, ändere, desto weniger Energie brauche ich. Und es ist viel leichter, etwas einfach abzuräumen als sich auf Vorhandenes einzulassen und es nur mit effektiven Eingriffen zu revitalisieren.”
Das gelingt mit West(!)-Plattenbauten, wie dem Münchner studentischen Olympiadorf, indem man einfach die Balkone zu Loggien macht und die Betonbrüstung heller verkleidet und leicht graphisch mit einem diagonalen Kreuz versieht (Knerer und Lang aus Dresden), was hier unter „Redesign” gezeigt wird. Oder – ein weiteres Beispiel aus München – wenn das Büro Hild und K einen neogotischen Klostergarten im Lehel neubaulich ergänzt und dabei den Fenster-Formen und ihren Rhythmus bruchlos weiterführt, in der Erklärung „Continuation” genannt.
Eine internationale Jury wird gegen Ende der Architektur-Biennale den besten Pavillon mit dem Goldenen Löwen auszeichnen. Und wie schon oft hat der deutsche gute Chancen, denn er wagt etwas Besonderes: nicht das Ausstellen von freien, spektakulären Kunstbauwerken, sondern die Auseinandersetzung mit dem Vorhandenen.
Keine anderen Ausstellungsräume sind derart gut durchgestaltet wie die deutschen: Das liegt auch daran, dass man eine einzige Fotografin beauftragt hat, die einzelnen Projekte zu fotografieren – ohne Rücksprache mit den Architekten. Das hat sich ausgezahlt: Durch den einheitlichen, riesenformatigen Foto-Darstellungsstil (von Erica Overmeer) in gedämpften, vor allem Grün-Grau-Tönen, ergibt sich ein Gesamtkunstwerk, das der Ausstellungs-Designer Konstantin Grcic auf schlichten weißen Wänden mit spektakulären Sichtachsen zwischen den Räumen und den venezianischen Hochwasserstegen als besonderen, herausgehobenen Geh-Parcours so hervorragend gestaltet hat, dass man oft meint, wirklich vor dem jeweiligen Gebäude zu stehen, unspektakulär, aber eindringlich.
Gegen diese kluge Inszenierung kommen die meisten anderen Länderpavillons schwer an. Einzig die Amerikaner haben eine vergleichbare, dabei freche Form gefunden: Vielleicht hundert Rollos hängen hier klar aufgereiht von der Decke. Zieht man sie näher zu sich herunter, ist auf jedem ein Projekt vorgestellt, das öffentlichen oder aufgegebenen Stadt-Raum neu belebt: das mittlerweile bekannte Guerilla-Gardening, indem tote Flächen einfach bepflanzt werden, wird immer mehr zur Gemüse-Selbstversorger-Bewegung. Es gibt anarchische Versuche, die Überpräsenz von Werbeflächen in unseren Städten durch Kunstübermalung zu stoppen, Stadtviertel- Selbst-Erkundungen mit skurrilen Smartphone-Führungen oder kleine Lichtinstallationen, die an gefährlichen Stellen die Radwege leuchtend auf dem Asphalt markieren.
Als Chef-Kurator der Architekturbiennale ist in diesem Jahr der Brite David Chipperfield berufen. Der Stararchitekt, der zuletzt für den Wiederaufbau des Neuen Museums in Berlin ausgezeichnet wurde, dachte sich als Generalthema: „Common Ground” aus, ein Wortspiel, das im Deutschen etwa mit „Gemeinsame Basis” zu übersetzen wäre, weil es die Suche nach Übereinstimmung meint. Viele Architekten und Länder-Pavillons aber – wie die Amerikaner – haben es als Zeitgeist-Kampfbegriff gegen die Privatisierung und den Kapitalismus verstanden: Der öffentliche Raum gehört uns allen: Lasst ihn uns zurückerobern vom Verkehr, von Firmen, von der Werbung. Das ist wunderbar modern, grün und revolutionär!
Bis 25. November, Venedig, Giardini und Arsenal, Eintritt 20 Euro
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