Veranstaltung

Mit Jessica Lange und Isabelle Huppert: Diese vier Streifen sollten Sie beim Filmfest München unbedingt sehen

Das 41. Filmfest München eröffnet: Gleich zu Beginn kommen Isabell Huppert und Jessica Lange und wir haben vier Filmtipps für Sonntag.
von  Adrian Prechtel
Oscargewinnerin Jessica Lange kommt zum Filmfest München.
Oscargewinnerin Jessica Lange kommt zum Filmfest München. © Evan Agostini (Invision/AP)

München - Oscarpreisträgerin Jessica Lange ist am Sonntag, 30. Juni um 18 Uhr bei der internationalen Premiere ihres neuesten Films "The Great Lillian Hall" im Deutschen Theater dabei. Anschließend steht sie zu einem Gespräch auf der Bühne, wo sie den CineMerit Award für ihre Verdienste um das Kino verliehen bekommt.

Neben "The Great Lillian Hall" werden noch zahlreiche andere Streifen im Rahmen des  41. Filmfest München gezeigt. Die AZ hat vier Filmfesttipps zum Auftaktwochenende.

Jan Henrik Stahlbergs politisches Aufputschmittel: "Muxmäuschenstill hoch x" 

Nach Law & Order setzt Mux - also Jan Henrik Stahlberg - jetzt politisch an: mit dem irritiernd belebenden "Muxmäuschenstill hoch x". 

Vor zwanzig Jahren wagte Jan Henrik Stahlberg ein filmisches Experiment: "Muxmäuschenstill". Es war 2004 eine satirische Prophetie: Denn dieser Mux war ein Pedant, ein Fan von Law and Order, einer, der dem Staat nichts mehr zutraute und die Sache selbst in die Hand nahm. Dabei überdreht Mux komplett - bis zum Tod. Der Film war bei allem Schillern auch eine irre, prophetische Vorwegnahme der AfD.

Jan Henrik Stahlberg (links) als Mux, der sich bei seiner Erweckungstour durch Deutschland medienwirksam filmen lässt.  Foto: Pfeiffer
Jan Henrik Stahlberg (links) als Mux, der sich bei seiner Erweckungstour durch Deutschland medienwirksam filmen lässt. Foto: Pfeiffer © Pfeiffer

Jetzt ist Mux (wieder Stahlberg) für "Muxmäuschenstill hoch x" aus dem Wachkoma erwacht und will, dass auch Deutschland aus der Lethargie erwacht.

"Muxmäuschenstill hoch x " ist ein anarchischer Graswurzelangriff aus der Provinz - und irgendwie auch von Links. Dabei wird der Zuschauer so durchgeschüttelt durch Begeisterung über die messerscharfe Gesellschaftsanalyse, dann aber wieder geschockt über die Unerschrockenheit in der Wahl der Mittel (Entführung, Bloßstellung, Erpressung) - und das alles in Form einer quasi dokumentarischen, also fast realistischen Satire.

Am Ende hat man das, was der Film sicher will: Den Wunsch nach Veränderung und Handlungsmacht. Das alles ist ein derart gefährlich witziges, doch bitterernstes Gebräu, dass man daran seine Einstellungen überprüfen, schärfen und gegebenen falls über Bord werfen kann. Der propagierte "Muxismus" integriert die Vergessenen und macht den Feind, der uns kaputt macht, klar aus: den Neoliberalismus.

30. Juni, zwei Mal: 18 Uhr, Sendlinger Tor sowie 21.15 Uhr bei Kino, Mond & Sterne im Westpark - jeweils mit Gespräch mit Jan Henrik Stahlberg und Team, auch am Mi, 3. Juli, 15 Uhr, City


Kulturelles und neuen Lebensmut entdeckt Isabelle Huppert in "Madame Sidonie in Japan"

"Die Geister leben überall und unter uns. Die Phantome helfen uns, zu leben,“ sagt der japanische Verleger Kenzo zur französischen Schriftstellerin Sidonie, die er zu einer Lesereise eingeladen hat. Da prallen zwei Welten aufeinander.

Statt die ausgestreckte Hand der Französin zu ergreifen, verneigt sich ihr Gegenüber, in der Pressekonferenz spricht die Autorin offen über das Schreiben als Mittel gegen die Verzweiflung und wird von Kenzo aufgeklärt, dass man in seiner Heimat Gefühle in der Öffentlichkeit eher unter Verschluss hält, und sie lernt, dass man auch nicht sagt, "ich will mit dir schlafen", sondern man tut es einfach. Alles Dinge, die sie erst einmal wissen muss. Und dass der alerte verheiratete Verleger immer wieder ihre Handtasche trägt, verwundert zumindest am Anfang.

Kirschblüte im Hintergrund: Isabelle Huppert und Tsuyoshi Ihara in "Madame Sidonie in Japan“.
Kirschblüte im Hintergrund: Isabelle Huppert und Tsuyoshi Ihara in "Madame Sidonie in Japan“. © Majestic

Regisseurin Élise Girard erzählt von einer traumatisierten Frau, die in ihren Schmerz nach dem Tod des Gatten (August Diehl) unter einer Schreibblockade leidet, sich verloren und fehl am Platz fühlt. Ausgerechnet der Verstorbene erscheint ihr in Japan immer wieder als Geist, ob im Aufzug oder Zimmer, in der Badewanne oder beim Kartenspiel auf dem Teppich. Ein Untoter, den sie nicht berühren kann, der ihr bei der Rückkehr ins Leben hilft. Denn "wenn wir wieder leben wollen, müssen wir die Toten loslassen", heißt es.

Da die japanische Spiritualität den Seelen der Verstorbenen einen wichtigen Platz einräumt, wird Sidonies Trip zur heilenden Exkursion in die Vergangenheit. Die Einfachheit der Inszenierung des Films widmet sich kleinen, fast zufällig erscheinenden Gesten der Zärtlichkeit zwischen Französin und Japaner.

Isabelle Huppert spielt eine Frau auf Identitätssuche zwischen gestern und heute – und zwar traumwandlerisch gut, mit einem wunderbaren Tsuyoshi Ihara an ihrer Seite, ebenfalls ein Suchender nach Erlösung. In Autofahrten entwickelt sich eine faszinierende Reise durch die frühlingshafte Zeit der Kirschblüte zweier einsamer, von Melancholie umhüllter Menschen zwischen Wachen und Schlafen, dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren.

Der trockene Humor verhindert belastende Schwere, lässt Raum für die flüchtige Leichtigkeit einer Romanze, die beiden unabhängig voneinander neue Möglichkeiten eröffnet. Faszinierend ist die Kombination aus Poesie und vielsagendem Schweigen, dazu großartige Bilder aus dem Land der aufgehenden Sonne und imposante Schreine und Tempel einer für Europäer fremden Kultur. Trotz tiefer Trauer eine vibrierende Hymne an das Leben, das Hier und Jetzt.  

Sonntag, 30. Juni, 16.30 Uhr, Cinema, im Anschluss Q&A mit Isabelle Huppert wieder am Mi,  3.7. 17.30 Uhr, Rio


Kinderfilmfest Cinekindl startet mit "Sisterqueens", einem  Porträt von Teenie-Rapperinnen

"Wir sind so sexy, der Paparazzo wird ohnmächtig", rappte Shirin David in "Gib ihm": bis heute mit über 70 Millionen Klicks der erfolgreichste Song einer deutschen Rapperin. Fünf Jahre später hat sich viel getan in der einst so männerdominierten Szene. Jetzt mischen selbstbewusste Künstlerinnen wie Badmómzjay, Juju oder Nina Chuba die Charts auf. Zwischen gewollter Sexyness und Körperkult kommen auch immer kritischere Texte mit feministischen Botschaften dazu. Texte, mit denen sich auch die "Sisterqueens" anfreunden würden.

Ein Rap-Projekt aus dem Berliner Wedding, das die Regisseurin Clara Stella Hüneke vier Jahre lang begleitete. Die Doku möchte weiblichen, migrantischen Teenagern eine Stimme geben. Eine, der man bei ihrem Weg zur Selbstermächtigung besonders gerne zusieht ist Jamila. Die auf den ersten Blick schüchterne Zehnjährige unterscheidet sich von den anderen allein dadurch, dass sie mal Wissenschaftlerin werden will ("gerne was mit Chemie").

Szene aus dem Film "Sisterqueens".
Szene aus dem Film "Sisterqueens". © Filmakademie Baden-Württemberg GmbH

Und sie glänzt auch noch mit überaus smarten wie amüsanten Ansichten. So ist Jamila fest davon überzeugt, dass der "Rassismus mit den Tauben angefangen hat". Wie bitte? Ja, denn "nur die weißen Tauben dürfen auf Hochzeiten, die braunen und schwarzen sind auf der Straße". Man kann über solche Aussagen schmunzeln, genau wie über ihr Unverständnis darüber, warum es denn drei Geschlechter geben sollte. Aber es hat eine Qualität, dass der Film auf belehrende oder einordnende Kommentare verzichtet und seinen "Stars" den Raum gibt sich zu jedem Thema frei zu äußern.

Ob Jamila, Rachel oder Faseeha: Sie alle eint ihr Engagement in einer Berliner Mädchen-Einrichtung, ihre Lust sich "als Mädchen zu stärken" und ihre Forderung nach Bildung, Menschenrechten und Gleichberechtigung.

Etwas am Rand stehen die vielen Mitarbeiterinnen, die sich mit Verve für das Rap-Projekt engagieren. So wie die wunderbare senegalesische Performerin Sister Fa. Sie erinnert auch noch einmal daran, dass die Ursprünge des Rap weit tiefer liegen als im prolligen Bling-Bling-Hedonismus. Und genau diese verbalisierte Kritik an gesellschaftlichen Strukturen ist es auch, die die Sisterqueens weitertragen. Wenn vielleicht auch nicht so hoch in die Charts wie eine Shirin David, so doch weit genug, um gehört zu werden: auch in diesem Film.

 Sa, 11 Uhr, HFF und wieder am Mo, 1. Juli, 9 Uhr, HFF nach dem Film jeweils Q&A mit Regisseurin Clara Stella Hüneke und Team


Komplexes Porträt eines Mobbing-Opfers:  "Holly"

Immer wieder quält sich Holly (vielschichtig: Cathalina Geeraerts) in die Schule, obwohl die zarte 15-Jährige dort als "stinkende Hexe" brutal gemobbt wird. Doch an diesem Sommertag schafft sie es nicht, auch weil Holly das Gefühl hat, "dass etwas Schlimmes passieren wird". Der Beweis für diese böse Vorahnung ist eine Rauchsäule, die sich vom Fenster ihrer Betonklotz-Wohnung aus beobachten lässt. Die Schule brennt. Zehn Kinder sind umgekommen. Hollys engagierte Lehrerin Anna (Greet Verstraete) versucht die Schocks der Hinterbliebenen aufzufangen. Mit einer Busfahrt in die Natur.

Holly ( Cathalina Geeraerts) wird von ihren Mitschülern brutal gemobbt.
Holly ( Cathalina Geeraerts) wird von ihren Mitschülern brutal gemobbt. © mk2Films

Von hier an nimmt der sensible, fast dokumentarisch erzählte Film der Regisseurin Fien Troch eine überraschende Abzweigung. Aus Holly, der gemiedenen Außenseiterin wird eine Heilerin und Seherin – jedenfalls in den Augen ihrer Mitmenschen, die anfangen zu glauben, dass das entrückte Mädchen übernatürliche Fähigkeiten hat. Anfangs fällt es dem stillen Teenie schwer, seine neue Rolle als Medium anzunehmen, bis Holly sich auch den finanziellen Vorzügen nicht entziehen kann.

Schmerzlich zeigt das geheimnisvolle Außenseiter-Porträt, dass letztlich nur Eigeninteressen hinter dieser plötzlichen Zuwendung liegen. Für den Menschen Holly, ihr Wesen, interessiert sich bezeichnenderweise nur ein autistischer, nie wertender Mitschüler (Felix Heremans).
Und in der Akzeptanz der eigenen Nonkonformität hat das Gespann dann auch eine Chance auf ein selbstbestimmtes, glückliches Leben.

30, Juni, So, 17 Uhr, HFF und wieder am Mi, 3. Juli, 17 Uhr, Rio

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