Mit einer Tendenz zum Glanz

In Cannes beginnt wieder das weltweit wichtigste Filmfestival. Stars wie Jodie Foster, George Clooney und Julia Roberts werden erwartet
von  Adrian Prechtel
Im Zeichen der Palme: Arbeiter befestigen das offizielle Plakat der 69. Filmfestspiele in Cannes am Festival-Palast.
Im Zeichen der Palme: Arbeiter befestigen das offizielle Plakat der 69. Filmfestspiele in Cannes am Festival-Palast. © dpa

In Cannes beginnt wieder das weltweit wichtigste Filmfestival. Stars wie Jodie Foster, George Clooney und Julia Roberts werden erwartet

Man muss sich dieses Festival vorstellen wie eine Diva, die 1946 ihren ersten großen Auftritt hier hatte an der Cote d’Azur. Seitdem hat sie sich jährlich am Roten Teppich präsentiert, nur einmal nicht, als die bösen Studentenbuben 1968 die Feier aus Protest gegen diese bourgeoise Dekadenz sprengten. So ist man jetzt „erst“ im Jahr 69.

Und die alte Dame ist nervös: Nicht etwa der Kulturminister ist angereist, auch nicht der Wirtschaftsminister, schließlich findet hier gleichzeitig auch der wichtigste Filmmarkt statt, so dass viele behaupten, der Wettbewerb der 21 ausgewählten Filme um die Goldene Palme sei nur ein kulturelles Feigenblatt für die größte Filmzockerei der Welt. Nein, der Innenminister ist gekommen, um sich über die Sicherheitslage zu informieren, denn was könnte ein geeigneteres Ziel für einen islamistischen Anschlag sein, als ein Festival, das 3500 Journalisten aus aller Welt auf engstem Raum versammelt und das – bei aller Ernsthaftigkeit vieler Filminhalte – doch ein riesiger, dekadenter Zirkus der Eitelkeiten ist. Woody Allen, mittlerweile 80 Jahre, eröffnet heute Abend mit seinem 50. Film außer Konkurrenz „Café Society“ die 12-tägige Dauergala im Palais du Festival.

Und es geht um die Attraktion Hollywoods in den 30er Jahren. Und viele bemängeln, dass es dieses Jahr wieder ein Festival der alten Männer wird. Aber witzigerweise hat Allen gleich mal einen reiferen rausgeschmissen: Bruce Willis (61). Der actiongewöhnte „Stirb langsam“-Held konnte nämlich seinen Rollentext nicht behalten und flog schnell vom Set, ersetzt durch Steve Carell. Ein Festival wie Cannes steckt in einem Dauerzwiespalt zwischen Kunst und Kommerz-Glamour. Werden zu viele Kunstfilme aus exotischen Ländern gezeigt, geht die Medien-Rummel-Aufmerksamkeit verloren. Zeigt man zuviel Bekannt-Bewährtes, verliert man seinen Anspruch, am Puls der Kinozeit zu sein.

Heuer hat Cannes diesen Spagat besonders gut gelöst: mit einer Tendenz zum Glanz. So zeigt man Filme, in deren Schlepptau gleich morgen George Clooney mit Julia Roberts auftauchen wird (im Medien- und Finanz-Thriller „Money Monster“ von Jodie Foster).

Erwartet werden auch Iggy Pop, der live diesen Sonntag als Hommage an Jim Jarmuschs Musikfilm „Paterson“ um Mitternacht hier auftreten wird oder Russell Crowe, Ryan Gosling, Kim Basinger – alle drei in einem Film über einen toten Pornostar und zwei harte Privatermittler, die dem Film den ironischen Titel „The Nice Guys“ geben. Juliette Binoche wird charmant, Marion Cotillard würdig und Isabelle Huppert kühl als französische Frauen-Ikonen im Blitzlichtgewitter lächeln.

Lauter alte Männer?

Auch die herbe Charlize Theron ist da. Was deshalb pikant ist, weil sie gemeinsam mit dem Regisseur ihres Films „The Last Face“ auftreten müsste: zumindest am Roten Teppich und auf der Pressekonferenz. Nur: Der Regisseur heißt Sean Penn und ist ihr Ex, von dem sie sich gerade nach den Dreharbeiten in einer brutal offen medialen Schlacht getrennt hat. Wahrscheinlich wird man den Mitspieler Javier Bardém zwischen sie platzieren. So spannt Cannes diesmal auch unfreiwillig Spannendes zusammen.

Und was den Vorwurf der „alten Männer“ anbelangt: Auch die Dardenne-Regiebrüder werden wieder da sein, Pedro Almodóvar wagt sich hier in Cannes nach dem Auftauchen seiner Filmfirma in den „Panama Papers“ wieder an die Öffentlichkeit – alles erst 60-Plusler. Nur Paul Verhoeven („Basic Instinct“, „Starship Troopers“) und der Brite Ken Loach sind gut in den 70ern und Steven Spielberg ist außer Konkurrenz mit dem Team seines Roald-Dahl-Fantasiewelt-Films „The BFG“ da, das fast identisch ist mit dem von 1982 für „E.T.“.

Und weil das seit einigen Jahren ja auch Dauerthema ist: der Anteil an Regisseurinnen ist auf ein Siebtel gestiegen. Und hier kommt auch Maren Ade ins Spiel, der einzige deutsche Wettbewerbsbeitrag, der am kommenden Zentralwochenende seinen wichtigen Platz bekommt: „Toni Erdmann“ mit Peter Simonischek als exzentrisch schwierigem Vater, der zu seiner Tochter (Sandra Hüller) einen neue Beziehung aufbauen will.

Bevor aber alles heute Abend glamourös in der 70er-Jahr-Betonburg des Festivals startet und auch Jurymitglieder wie Kirsten Dunst, Vanessa Paradis, Donald Sutherland und Jury-Präsident George Miller („Mad Max“) die Licht gefluteten Stufen hochschreiten, wird bis zur letzten Minute noch rumgehämmert an der eleganten Festivalkulisse für die Welt.

Das gelbe Riesen-Transparent zu diesem 69. Festival ist am Palais du Festival schon angebracht – ohne Stars darauf: Stattdessen ist eine moderne, Maya-tempelhafte Architekturtreppe zu sehen, aus einem 1963er Beziehungskrisen-Film von Jean-Luc Godard: „Die Verachtung“. Touristen stehen bereits davor und fotografieren es.

Ein Amerikaner kommentiert es sehr frech gegenüber seiner Freundin: „69! Da würde ich an etwas Anderes denken! Mehr sexy!“ Eine alte, sonnenübergebräunte, typische Cote d’Azur-Rentner-Diva kommt gerade mit ihrem Mops vorbei und schüttelt pikiert den Kopf: über das Plakat, über die Unwissenheit der Amis über den Godard-Film oder aus Verachtung für den Spruch?

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