Michael Herbigs "Spiegel"-Skandal Verfilmung "1.000 Zeilen": Eitelkeit oder Wahrheit?

Im Jahr 2018 erschütterte ein Skandal um gefälschte Reportagen von Claas Relotius das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Ein Erdbeben, das die Medienbranche erschütterte. Regisseur Michael Herbig hat diesen Stoff nun verfilmt. In "1.000 Zeilen" spielt Jonas Nay den Reporter Lars Bogenius, dessen Schummeleien von dem Journalisten Juan Romero (Elyas M'Barek) entlarvt werden.
Michael Herbig: "Super Stoff für einen Film"
AZ: Herr Herbig, die Medien werden immer - neben Parlament, Regierung und Justiz - als wichtige, die Demokratie stärkende, "Vierte Gewalt" bezeichnet. Das zerbröselt immer mehr im Zusammenhang mit Social Media, immer mehr obskuren Agenturen und Onlineplattformen. Aber "Der Spiegel" blieb ein Leuchtturm. Wenn man den jetzt "unterspült", ist das doch Wasser auf die Mühlen von Leuten, die "Lügenpresse" schreien. Und Donald Trump kommt als Clip auch kurz im Film vor, wie er "Fake News! Fake News!" ruft.
MICHAEL HERBIG: Es war ein Desaster, dass dem seriösen und größten Nachrichtenmagazin Europas das passieren konnte. "Der Spiegel" ist ja ein Fels in der Brandung, der den Lesern das Gefühl gibt: "Es wird ja viel erzählt und geschrieben, aber auf das, was ich da lese, kann ich mich verlassen!" Und dann bringt das ein Mann zu Fall, dem alle irgendwie verfallen sind, womöglich aus Eitelkeit oder Karrieresucht. Die Beteiligten konnten sich auch wunderbar im Ruhm dieses Reporterstars sonnen. Das allein ist schon, und das ist nicht zynisch gemeint, ein super Stoff für einen Film. Das Besondere an dieser Geschichte ist aber auch: Es war auch ein Journalist, der die Sache aufgedeckt hat. Und das zeigt wiederum, wie wichtig eine freie und investigative Presse ist. Der Reporter Juan Moreno hat auf eigene Faust recherchiert und viel riskiert. Das war sehr mutig.
"1.000 Zeilen": Ein Film ohne Genre – oder mit ganz vielen
Sie haben im Film die Namen sehr nah an die wirkliche Geschichte angeglichen: Aus Claas Relotius wurde Lars Bogenius, gespielt von Jonas Nay, und aus Juan Moreno wurde Juan Romero, gespielt von Elyas M'Barek. Hatten Sie nie Angst, dass der wirkliche Relotius gegen diesen Film rechtlich vorgehen würde?
Dann hätte man schon gegen das Buch "Tausend Zeilen Lüge" von Juan Moreno vorgehen müssen. Letztendlich habe ich ja auch keinen dokumentarischen Film gemacht. Ich habe mich von Morenos Buch inspirieren lassen und Szenen bearbeitet oder erfunden. Ich darf ja –ich bin ja kein Journalist – Geschichten erzählen. Es ist die Hochstaplergeschichte, die mich so gereizt hat. Und ich selbst bin – glücklicherweise – noch auf keinen reingefallen. Aber zu zeigen, wie verführbar die Leute sind, hat mir Spaß gemacht. Es braucht auch immer Leute, die den anderen machen lassen, ihm den Raum einräumen. Und so kann – in unserem Fall Bogenius – sagen: Ich habe doch nur gemacht, was ihr von mir verlangt habt: gute Geschichten liefern!
Der Film ist eine Satire über die Medienbranche, ein Robin-Hood-Drama mit Thriller-Anklängen, wenn ein gefeuerter Reporter für Gerechtigkeit und gegen einen Blender kämpft und dann gibt es noch die Familienkrise mit Happy End wie bei einer romantischen Komödie.
Ich hab schon bei der Drehbuchentwicklung zum Autor Hermann Florin gesagt: "Wenn bei uns die "Genre"-Polizei klingelt, wird's interessant. Ich werde ihnen nicht sagen können, was das für ein Genre ist. Nennen wir es einfach: "Stabiler Film". Vielleicht ist dieses Genre-Denken auch so langsam überholt. Die Zuschauer sollen einfach eine gute Zeit im Kino haben.
"Es ist überwiegend eine Männergeschichte – inklusive Alpha-Männchen"
Viele Leute kennen den "Fall Relotius" mit dem Gegenspieler Juan Moreno von 2018 gar nicht, obwohl die gesamte Glaubwürdigkeit des Kontrollsystems des legendären Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" versagt hatte.
Es spielt auch keine Rolle, ob man das Buch von Juan Moreno darüber gelesen hat. Der Film schlägt immer wieder Haken und erzählt eine relevante Geschichte mit vielen spannenden Volten. Manchmal ist er auch ein bisschen zynisch oder böse. Auf jeden Fall konnte ich mich richtig austoben und Dinge tun, die man normalerweise bei Filmen nicht macht. Eingefrorene Bilder, Splitscreen, Grafiken oder dass die Schauspieler in die Kamera sprechen. Ich wollte, dass die Protagonisten um die Gunst des Zuschauers buhlen.

Die Produktionsfirma ist die Berliner UFA-Fiction. Die hat sich ja selbst einen politisch korrekten Rahmen verordnet, unter anderem mit Diversitäts-Vorgaben. Haben Sie davon etwas gemerkt?
Eigentlich nicht. Aber es ist gut, wenn die UFA da als großer Laden eine Vorbildfunktion übernimmt. Ich hatte bei der Umsetzung freie Hand, und es hat ja auch künstlerische Grenzen, wenn man Quoten fordert. Die "Tausend Zeilen"-Geschichte ist halt überwiegend eine Männergeschichte, weil die Strukturen in unserem Fall auch so waren. Sowas ist handlungstragend, also muss es auch so gezeigt werden, inklusive Alpha-Männchen. Diverser besetzen muss sinnvoll sein und künstlerisch richtig. Ich suche immer für jede Position die passende Person, welche Orientierung jemand hat, welches Geschlecht, welchen Hintergrund, welche Hautfarbe ist mir egal. Aufgrund der #metoo-Debatten gibt es inzwischen auch Anlaufstellen, falls sich jemand verletzt oder belästigt fühlt. Für mich ist das aber seit Jahren selbstverständlich, weil ich ein entspanntes Set brauche, um gut arbeiten zu können.
Bully distanziert sich nicht vom "Schuh des Manitu"
Und irritiert Sie die Diskussion um "Der Schuh des Manitu"? Weil hier Indigene sich verletzt fühlen könnten oder die Schwulenszene?
Humor verändert sich. "Schtonk!" zum Beispiel ist ein Mediensatire-Klassiker von vor genau dreißig Jahren, den man sich immer noch gerne anschaut, aber heute auch anders drehen würde. Deshalb kann man "Tausend Zeilen" damit auch nicht vergleichen. Und auch beim "Schuh des Manitu" gibt es diesen Nostalgiefaktor, wenn man ihn sich heute anschaut: Er ist eine zwanzig Jahre alte Parodie über Filme aus den 60er Jahren. Wenn ich jetzt eine Schlagzeile lese "Bully distanziert sich vom ,Schuh des Manitu'", ärgert mich das, weil es nicht stimmt. Ich liebe diesen Film, er ist mein Baby. Ich beschäftige mich heute aber mit anderen Themen und der Zeitgeist ist ebenso ein anderer. Natürlich kann man sich den "Schuh des Manitu" auch heute noch anschauen und lachen. Er ist pure Unterhaltung und ein Produkt seiner Zeit, das sollte man nicht vergessen.
Zur Zeit ist auch noch der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter Beschuss wegen Selbstbedienungsmentalität…
Auch ein schöner Filmstoff, hätte durchaus Potenzial. Ich erinnere mich da immer an den Wein-Skandal in Österreich vor vielen Jahren. Da wurden Millionen Liter Glykolwein in die Kanalisation abgelassen. Und danach gab es die besten Weine aus Österreich, weil alles unter genauer Beobachtung stand und man sich sehr anstrengen musste, den Imageschaden wieder zu bereinigen. Ich hoffe nicht auf möglichst viele Skandale, aber auf ein reinigendes Gewitter. Und ich hoffe, dass es genügend gefestigte Charaktere und Menschen mit Verantwortungsgefühl gibt.