"Mein Ein, mein Alles": Wer Liebe will, muss was riskieren

In ihrem neuen Film „Mein Ein, mein Alles“ schickt Maiwenn ein Paar auf eine gnadenlose Gefühlsachterbahn. Im Interview mit der AZ beantwortet die Regisseurin alle Fragen zu ihrem neuen Filmprojekt.
Margret Köhler, Adrian Prechtel |
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So sieht eigentlich das Glück aus: Georgio (Vincent Cassel) und Tony (Emmanuelle Bercot) mit ihrem Baby.
Studiocanal So sieht eigentlich das Glück aus: Georgio (Vincent Cassel) und Tony (Emmanuelle Bercot) mit ihrem Baby.

In ihrem neuen Film „Mein Ein, mein Alles“ schickt Maïwenn ein Paar auf eine gnadenlose Gefühlsachterbahn. Im Interview mit der AZ beantwortet die Regisseurin alle Fragen zu ihrem neuen Filmprojekt.

Vier Jahre nach ihrem Erfolg über den Alltag der Flics in „Poliezei“ wendet sich Maïwenn in „Mein Ein, mein Alles“ einer zerstörerischen „Amour Fou“ zu. Vincent Cassel brilliert als charmanter Macho Giorgio, Emmanuelle Bercot (ausgezeichnet als Beste Darstellerin beim Festival de Cannes) als Anwältin Tony. Sie liebt diesen Mann und seine Verrücktheiten ohne Wenn und Aber, zahlt für die emotionale Achterbahn einen hohen Preis.

 

Maïwenn (39) ist seit den Achtzigern als Schauspielerin bekannt. Seit 2006 arbeitet sie auch als Regisseurin und Drehbuchautorin.

 

AZ: Madame Maïwenn, seit zehn Jahren beschäftigen Sie sich mit diesem Filmprojekt. Was war da so schwierig?

 

MAÏWENN: „Mein Ein, mein Alles“ hätte auch mein erster Film sein können, aber ich fühlte mich einfach nicht reif für den Stoff. Gerade die Phase der Verliebtheit ohne Klischee darzustellen, machte mir zu schaffen. Mir fehlte doch noch ein Stück Erfahrung. Inzwischen habe ich einiges gelernt und traute mich endlich an das ziemlich aufwändige Projekt heran.

Ich fand es nur komisch, dass ich nach dem Erfolg von „Poliezei“ plötzlich als „kommerziell“ galt und nicht mehr als Autorenfilmerin. Aber Druck und Stress kommen nicht von außen, sondern die mache ich mir selber. Beim Schnitt habe ich das ganze Team ausgewechselt und musste dadurch wieder bei Null starten. Die Verzögerung hatte auch was Gutes. So konnten wir den Film in Cannes einreichen und am Wettbewerb teilnehmen.

 

Warum haben Sie sich mit Etienne Comar ausgerechnet einen männlichen Drehbuchautor an Ihre Seite geholt?

 

Ich schreibe gerne zu zweit. So eine Zusammenarbeit hilft, diesen eindimensionalen Tunnelblick zu vermeiden. So kommen komplett neue Impulse. Wir haben uns die Bälle nur so zugeworfen, aus weiblicher wie aus männlicher Sicht. Und wir waren beide sehr diszipliniert: Jeden Tag von 9 bis 13 Uhr saßen wir brav am Schreibtisch.

 

Ihre männliche Hauptfigur ist begehrenswert, aber auch zerstörerisch.

 

Ich will meine Protagonisten weder stigmatisieren noch verurteilen, sondern versuche, Emotionen zu wecken. Am Ende ist es doch der Zuschauer, der sich eine Meinung bildet. Jeder sieht seinen ganz speziellen Film, reagiert ganz persönlich.

Manche Männer finden Giorgios Verhalten unerträglich, Frauen halten ihn für ein Macho-Arschloch, aber ein verführerisches. Jeder Mensch hat eine dunkle Seite, aber auch eine sympathische.

 

Und wer gewinnt am Ende?

 

In der Liebe geht es nicht um gewinnen oder verlieren, sie ist ein Geschenk, kann aber auch süchtig machen und zugrunde richten. Die weibliche Hauptfigur ist etwas komplexer angelegt. Eine kluge Anwältin mit beiden Beinen im Leben, die dennoch diesem Mann verfällt, ohne sich zum Opfer zu stilisieren.

Kennen wir nicht alle das Gefühl, mit diesem Menschen kann ich nicht leben, ohne ihn aber auch nicht? Eine „Amour fou“ ist unkontrollierbar. Hier entwickelt die Frau neue Stärke und neue Zärtlichkeit, während er wie ein trotziges Kind in Wut verharrt.

 

Dachten Sie bei der Besetzung sofort an Vincent Cassel?

 

Vincent kam schon in der Drehbuchphase ins Boot. Ein perfekter Schauspieler und Charmeur mit Charisma, der jede Frau um den Finger wickeln kann. Er muss sich beim Drehen nicht großartig vorbereiten, macht instinktiv das Richtige und hält sich nicht mit langen Debatten auf, will genau wissen, was Sache ist und legt dann los. Emmanuelle Bercot stand von Anfang an fest. Die beiden sie verstanden sich und beherrschten jede Nuance.

 

In „Pardonnez-moi“, „Bal des actrices“ und „Poliezei“ standen Sie auch vor der Kamera. Diesmal verzichten Sie auf eine Rolle.

 

Ich wollte meine ganze Energie auf die Regie konzentrieren und die exakte Figurenzeichnung in ihrer Widersprüchlichkeit. Es ist auch viel entspannter, morgens an den Set zu kommen, ohne in die Maske zu verschwinden oder sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie soll ich spielen? Diese neue Situation habe ich sehr genossen, was nicht heißt, dass ich in meinem nächsten Film vielleicht nicht wieder eine Rolle übernehme. Das hängt von der Geschichte ab.

 

Sie waren eine von nur zwei Regisseurinnen im Wettbewerb von Cannes. Was sagen Sie zur Forderung nach einer Frauenquote im Filmgeschäft?

 

Hören Sie mir auf damit. Ich hasse diese Gender-Diskussion. Filme werden wegen der Qualität ausgesucht, nicht wegen dem Geschlecht. Ich bin in erster Linie eine Persönlichkeit, dann Frau.

 

Fazit: Wenn starke Frauen schwach werden

 

Sie (Emmanuelle Bercot) ist Richterin. Er ein Taugenichts. Aber vielleicht ist es ja genau das, was Giorgio (Vincent Cassel) für sie als bürgerliche Singlefrau so anziehend macht. Er versetzt sie, belügt sie, er liebt sie wild und betrügt sie frech, er schwängert sie – und auch das ist kein Zufall im Zusammenspiel mit einer Mittvierzigerin, die sich der zumindest unbewusst im Raum stehenden Kinderfrage stellen müsste.

Und er heiratet sie (oder nicht vielmehr sie ihn?), aber er lässt sich eben doch nicht einfangen.

Die Frage, auf wessen Seite der Film steht, lässt sich angenehmerweise nicht beantworten, auch wenn wir die Beziehung aus ihren Augen sehen. Aber wir bleiben als Zuschauer mitfiebernd, analysierend, oft fassungslos, wie die Frau immer wieder verzeiht, weiter mitmacht. Dabei steht sie von den äußeren Faktoren her eigentlich fest im Leben: mit akademischem Beruf, Freunden und ihren Geschwistern, die warnend solidarisch sind.

Kurz: Sie ist kein Opfertyp und er kein Verbrecher, eher ein fast tragischer Filou. Und irgendwie liebt sie auch die Intensität des Wahnsinns-Reigens aus Enttäuschung und wilden Versöhnungen, die dieser gefährlich charmante Kamikaze-Mann in diesem Amour-fou-Stück immer wieder hinbekommt.

So ist „Mein Ein, mein Alles“ ein psychologisch fantastischer, wahrhaftiger und am Ende befreiender Film. Er taucht tief ein in die Frage, ob Liebe zwangsweise abhängig macht, besonders Frauen, die ja oft eine Art Helfersyndrom entwickeln. Aber kunstvoll lässt „Mein Ein, mein Alles“ der Liebe auch das, was sie bei aller Analyse auch braucht: einen Rest Geheimnis und Irrationalität.


Kinos: Eldorado, Kino Solln, Monopol (OmU), Theatiner (OmU) / Buch und Regie: Maiwenn (F, 125 Min.)

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