Mehr Mut zur Meinung

Als Exil-Schriftsteller Stefan Zweig zeigt Josef Hader in Maria Schraders „Vor der Morgenröte“ eine ganz neue schauspielerische Facette: den in sich zerrissenen und verzweifelten Humanisten und Pazifisten. Entspannt plaudert der österreichische Kabarettist über seine politische Positionierung, heutige Bekenntniskultur und Parallelen zur Zwischenkriegszeit im 20. Jahrhundert.
Herr Hader, Sie gehen als Schauspieler neue Wege. Trauen Sie sich jetzt mehr?
Im Laufe des Alters werden Niederlagen interessanter. Man spürt immer deutlicher, was man wirklich zu verlieren hat, ist das Leben. Früher bin ich mehr herum mäandert, heute probiere ich unbekannte Dinge aus, bin risikofreudiger. Denn wenn man scheitert, kann man sich wieder jung fühlen. Hätten Sie Stefan Zweig gerne persönlich kennen gelernt? Natürlich, schon allein für die Rolle. Aber auch als äußerst interessanten Schriftsteller und politischen Menschen. Ich hätte mich gerne über seine Haltung als Künstler unterhalten.
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Ist es für Sie als Künstler nachvollziehbar, dass er sich 1936 beim P.E.N.-Kongress in Buenos Aires weigerte, Position gegen Nazideutschland zu beziehen?
Sie positionieren sich doch in Ihren Texten. Ich halte es für bewundernswert, dass er nicht Beifall für Sätze kassieren wollte, für die man in Deutschland hingerichtet wurde. Er empfand den Krieg als so große Katastrophe, dass er vollkommen gelähmt war und sich als überzeugter Pazifist nicht auf eine Seite stellen konnte. Schon der Erste Weltkrieg hatte die Welt, die er liebte, vollkommen zerstört, und er wusste, der nächste Weltkrieg würde noch viel ärger werden. Das deprimierte ihn. Er hätte es obszön gefunden, sich für eine Rede ohne Risiko bejubeln zu lassen.
Stimmen Sie mit ihm in vielem überein?
Ja, wie er halte ich es für wenig sinnstiftend, eine politische Meinung nur vor Gleichgesinnten zu verkünden. Etwas anderes ist es, Stellung zu beziehen in einer sich polarisierenden Gesellschaft. In Österreich haben kürzlich Intellektuelle und Künstler einen Aufruf für eine humanere Flüchtlingspolitik unterschrieben. Für diese Aktion bekamen wir keinen Beifall, sondern Anfeindungen, aber sie ist eben richtig.
Aber darf man als Künstler wirklich schweigen? Nicht erst nach 1968 engagierten sich Schriftsteller gesellschaftlich.
Durch 1968 entstand eine ganz andere Kultur mit politischen Bewegungen, die wichtig waren für eine funktionierende Zivilgesellschaft, sie halten die Demokratie lebendig. Wir verstehen heute deshalb Zweigs Haltung nur sehr schwer. Die Frage ist doch: Schreiben wir flammende Artikel, stellen wir uns auf Bühnen, oder lehnen wir den Krieg vollkommen ab und können nicht über diese Grenze gehen? Ich bin geprägt von den Bürgerrechtsbewegungen und hätte sicherlich weniger Probleme, in einer Kriegssituation Partei zu ergreifen und eine unmenschliche Diktatur zu beseitigen. Ich bin eben kein so radikaler Pazifist wie Zweig.
Inzwischen reicht ein „Gefällt mir“ bei Facebook als Meinungsäußerung.
Verflachung ist eine menschliche Tendenz. Die Studentenrevolte der 60er Jahre verflachte in den 70ern in einer Kommerzialisierung, wurde zum Geschäft. Früher ging man tapfer auch im Regen demonstrieren und erlebte Gemeinschaft lustvoll, jetzt genügt ein Klick. Man muss immer wieder etwas Neues erfinden, damit es sich dann wieder langsam verflachen kann.
Sehen Sie Parallelen zwischen damals und heute?
Die auffälligste Parallele ist der Flüchtlingsstrom, aber die tiefer liegende ist, dass nach dem Ersten Weltkrieg bestimmte Vereinbarungen in der Gesellschaft immer brüchiger wurden, Werte und Traditionen zunehmend erodierten. Wie teilweise auch heute. An der Zwischenkriegszeit kann man sehr gut beobachten, was passiert, wenn die politischen Auseinandersetzungen auf die Straße verlagert werden.
Befürchten Sie diese Entwicklung?
Man sollte sich nicht von Angst lähmen lassen. Wir leben in einer anderen Zeit. Aber nicht nur Europa, sondern unsere Staatsform, die westliche Demokratie, stecken in einer Krise. Populismus und Nationalismus nehmen zu. Ich wehre mich allerdings gegen das Vorurteil, alles würde immer schlechter. Dann wäre die Steinzeit der Höhepunkt der Zivilisation gewesen. Das kann‘s auch nicht sein. Wir alle sind gefordert, dazu beizutragen, dass aus der Krise keine Katastrophe wird.
Kino: ABC, Arri, City, Münchner Freiheit, Solln
R: Maria Schrader
(D, 106 Min.)