"Maleficent" mit Angelina Jolie: Die Rache der Fee aus verletzter Liebe
Ein fantastisches Fantasy-Märchen in 3D, eine psychologische Täter-Opfer- und Frauen-Studie: Disneys „Maleficent“ mit Angelina Jolie erzählt die Vorgeschichte von „Dornröschen“ und erklärt das Böse
Märchen sind kein Kinderkram. Das wissen wir seit den Tagen der Grimms, die diese Geschichten unter Erwachsenen sammelten. Disneys frühere Versionen verkitschten und verniedlichten dann kräftig „für die ganze Familie“. Die Neuinterpretation „Maleficent“ – benannt nach der Fee, die das Böse schon im Namen trägt – liefert jetzt die Vorgeschichte zum Zeichentrick-Klassiker „Dornröschen“ von 1959.
Verraten und die Flügel gestutzt
Aber Disney ist hier endgültig beim Erwachsenenfilm angekommen, so düster magisch ist „Maleficent“, so groß sind die mythischen Schlachten, so klug psychologisiert ist die Frage: Warum ist diese Frau so diabolisch, ist sie nicht eingeladen, stößt sie den Fluch aus? Und je mehr wir – wie bei einem guten Krimi – in die Person des Täters hineinversetzt werden, desto mehr hegen wir Sympathie für den Teufel. Maleficent wurde zur Furie durch traumatische Verletzungen: Ihr Freund hat sie für Macht und Königskrone verlassen und noch mehr als erniedrigt. Als Trophäe entreißt er ihr, dem geflügelten Fabelwesen, auch noch ihre Schwingen. Hier steckt tiefenpsychologisch traumhaft alles drin: Fliegen, Sex, Gewalt und dann auch noch die enttäuschte Kinderfrage.
Kränkung destiliert sich zu Wut und Fluch
Kein Wunder also, dass Maleficent das Kind des Ex, Prinzessin Aurora, zur Geburt verflucht: eine meisterhafte Szene in einer surreal riesigen, Ludwig-II-größenwahnsinnigen Burg und neugotischen Halle – halb Thronsaal, halb Kathedrale. Darin der König mit Frau, vor ihnen die Wiege, dann hierarchisch aufgereiht der Hofstaat, Libellen-Glücksfeen lockern die Steifheit der Zeremonie. Hier hinein fährt Maleficent mit ihren rasierklingenscharfen Wangenknochen wie ein schwarzer Blitz im schwarzglitzernden Cape mit ihrem Raben-Gefährten auf der Schulter. Und ihr Fluch legt sich als giftneongrüner Nebel über die Wiege. Angelina Jolie genießt es, die schneidend intelligente, verletzte, schöne Frau Maleficent mit großem psychischen Facettenreichtum zu spielen.
Angelina Jolie genießt die Rolle und durchbricht das Täter-Opfer-Schema
Ihr Fluch, dass Aurora (Elle Fanning) sich an ihrem 16. Geburtstag am Spinnrad stechen und in einen ewigen Schlaf fallen wird, lastet eben nicht nur auf der Dornröschen-Figur Aurora, sondern auch auf ihr selbst. Als Täterin interessiert sie sich für ihr „unschuldiges“ Opfer. Ein faszinierendes Täter-Opfer-Freundschaftsspiel durchwirkt den Film. Und selbst Disneys Schwäche für konservative Familienbilder bekommt mit der Matriarchin Maleficent eine erfrischend feministische Note. Selbst dass sie am Ende zur netten Patentante mutiert, ist hier nicht peinlich. Kleine Schwächen hat dieses Disney-Großwerk dann aber doch: die allzu nette Gute-Feen-Kinder- und Jugendzeitwelt und die für Fantasy-Fans eingebauten Schlachtenszenen zwischen dem menschlichen Königsheer und der Moor-, Zauberwald- und Feenwelt.
"Herr der Ringe"-Kopie
Die schickt Saurier-Baumwesen in den Kampf, die wie Orks aus der „Herr der Ringe“-Gigantomanie wirken. Diese computeranimierten Szenen größten 3D-Schlachtengetümmels sind von Peter Jackson einfach kopiert – und auch bestimmt nicht kindertauglich. Aber Robert Strombergs Regiedebüt ist ein ästhetisches Meisterwerk, in dem Realschauspiel, bizarre Kulissen und Animationskunst zu einer bruchlosen, fantastischen Welt verschmelzen – und dieser Film ist packend und tief, ein klassisches Märchen modern-psychologisch weitergedacht.
Kino: Leopold, CinemaxX, Royal sowie Mathäser, Gloria (auch OV) und Cinema (OV) R: Robert Stromberg (USA, 98 M.)