"Männer sind wie die Kinder"
Haifaa Al-Mansour hat es geschafft: „Das Mädchen Wadjda“ ist der erste Film aus Saudi-Arabien – einem Land ohne Kinos. Die kleine Filmheldin wünscht sich von Herzen ein Fahrrad. Radfahren ist für Mädchen aber verboten. Wohl ein kleiner Erfolg des Films: Seit April ist es auch für Frauen erlaubt.
AZ: Frau Al–Mansour, unter welchen Bedingungen konnten Sie diesen Film drehen?
HAIFAA AL-MANSOUR: Es hat fünf Jahre gedauert von der ersten Idee bis zur Fertigstellung. Die Dreharbeiten waren schwierig, vor allem die Straßenszenen. Ich musste mich oft im abgedunkelten Auto verstecken und mit dem Team durch Walkie-Talkie kommunizieren. Das nervte, weil ich als Regisseurin nicht nur vor dem Monitor sitzen, sondern auch den Darstellern nahe sein sollte. Manchmal wurde ich aufgefordert, abzuhauen, in einigen Vierteln konnte ich mich auch mal nach draußen wagen. Wir mussten immer Grenzen austesten und durften nicht auffallen.
Wie entdeckten Sie in einem Land ohne Kino die Liebe zum Film?
Ich stamme aus einer Kleinstadt und einer Familie mit zwölf Kindern. Mein Vater war sehr „Saudi“ und sehr gläubig, aber dennoch liberal. Ich durfte sogar heimlich im Hinterhof Fahrrad fahren. Schon als kleines Mädchen habe ich mit ihm Filme auf Video geguckt. Meine Eltern haben mich immer unterstützt, meinen Traum zu verwirklichen, obgleich das im Dorf nicht allen gefiel und ziemlich getuschelt wurde, als ich beim Fernsehen anfing zu arbeiten. Als Frau steht man in Saudi-Arabien wahnsinnig unter Druck.
Sie leben mit Ihrem Mann in Bahrain. Was passiert, wenn Sie Ihr Heimatland besuchen?
Ich bin die Freiheit jetzt gewohnt und jedes Mal frustriert, wenn ich sehe, dass Frauen nicht Autofahren oder bestimmte Restaurants besuchen dürfen, sich strengen Kleidungsvorschriften unterwerfen müssen. In Saudi-Arabien kann ich das Land sogar nur mit Erlaubnis meines Mannes verlassen. Die Menschen sind sehr konservativ und religiös, aber es gibt kleine Änderungen. Zwei Sportlerinnen durften erstmals an den Olympischen Spielen teilnehmen. Wir sind eine sehr gespaltene Stammesgesellschaft. Frauen leben in Unsichtbarkeit, Mädchen werden trotz großem Potenzial früh verheiratet und müssen Kinder kriegen und im Haus bleiben. Auf der anderen Seite sollen und wollen Mädchen studieren und arbeiten, vor allem im medizinischen Bereich. Alles erste Trippelschritte.
Versuchen Frauen, gegen diese Rechtlosigkeit aufzubegehren?
Sie haben nie gelernt, sich zu wehren. Erstaunlich, aber es kommt auch von Frauenseite Widerstand gegen manche Liberalisierungstendenzen. Es fehlt oft an Mut. Die Gegensätze nehmen zu. So geht die Frau meines Bruders nur schwarz verschleiert auf die Straße, hat aber zugelassen, dass ihre Tochter in USA studiert. Wenn die zurückkommt, wird sie garantiert alte Zöpfe abschneiden. Frauen und Männer sind Opfer der konservativen Gesellschaft. Deshalb verdamme ich auch nicht den Ehemann im Film. Er liebt seine Frau und muss sie verlassen, weil sie ihm keinen Sohn schenken kann. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist zutiefst gestört. Ich setze auf die junge Generation mit Internet und iPhones.
Wie reagierten die einheimischen Männer auf Sie als Regisseurin?
Ganz unterschiedlich. Manche sehr feindlich, andere bemühten sich um Offenheit, ich kriegte auch schon böse Mails. Männer sind manchmal wie Kinder, man darf sie nicht überfordern. Ich habe die Herausforderung angenommen und bin zuversichtlich. Wenn Frauen kämpfen, können sie überall ihren Platz erobern. Auch in Saudi-Arabien.