"Ludwig II." im Kino: Ein Mythos wird versenkt

Ein Münchner Regiepaar verfilmt das Leben des „Märchenkönigs“ mit viel Geld und an Originalschauplätzen – und übernimmt sich. Der neue „Ludwig“ ist ein teures Fiasko.
von  Adrian Prechtel

Ein ewiges Rätsel will ich bleiben mir und allen anderen..." Noch fast Kind hat Ludwig diesen zentralen Satz seines Lebens an seine Erzieherin geschrieben. Und es gibt nichts Besseres, um unsere Fantasie zu beflügeln. Denn so können wir in Ludwig alles hineinprojizieren, so wird er zu unserer Sehnsuchtsfigur: Bayerischer Patriot, Bismarck-Opfer – oder Ausverkäufer der Souveränität? Wahnsinnig oder einfach nur zu feinsinnig? Pazifist oder politisch unfähiger Fantast? Romantischer Kunstwelt-Träumer oder Technikfreak? Schwuler oder katholisch-deformierter Keuscher?

Vierzig Jahre nach Luchino Viscontis epochaler, opulenter Deutung und fast 60 Jahre nach Helmut Käutners Film mit O.W. Fischer wagt der deutsche Film einen neuen Zugriff: Mit einem satten Produktions-Budget von über 16 Millionen Euro – finanziert von der Bavaria Film zusammen mit dem Bayerischen Rundfunk. Natürlich war auch die ARD-Produktionsfirma Degeto beteiligt. Und weil Ludwig eine weit über Bayern hinausragende Persönlichkeit ist, beteiligten sich zusätzlich der – aus bayerischer Sicht preußische – Westdeutsche Rundfunk, alles gewürzt noch mit 1,5 Millionen Euro der höchstmöglichen Förderung durch den Bayerischen Film- und Fernsehfond. Aber was ist dabei herausgekommen?

Traurig wenig. Das Regisseur-Paar Peter Sehr und Marie Noëlle konzentrieren sich nicht auf eine ihrer vielen Ideen: Ludwigs Homosexualität, mit der er selbstzerfleischend ringt, sein konsequenter, politisch brisanter Pazifismus, sein Wagnerkult, sein Abdriften nach dem Scheitern seiner Welterneuerungsvision durch die Kunst... Das alles verschmilzt dramaturgisch nicht zu einer filmischen Einheit. Stationen werden abgehakt, die Geschichte holpert. Geografische Sprünge werden dann noch mit willkürlichen Ortsnamen-Einblendungen versehen, die dann vollends aus der Illusions-Maschine Kino reißen. Aber man will ja unbedingt alle Nebenaspekte unterbringen – Ludwigs Technik-Begeisterung, der Sonnenkönigs-Kult oder Sissis Sympathie mit der Revolution. In dieser Drängung müssen dann ganze Themenfelder hölzern thesenartig aufgesagt werden: „Ludwig, du wirst der Pionier der Elektrizität in Bayern sein!“, sagt Sissi schnell, und Bruder Otto (Tom Schilling) darf einen absurden Tobsuchtsanfall bekommen, weil man den König zur „Unterschreibmaschine“ degradieren will, um das Deutsche Reich zu gründen.

Zudem sind viele Dialoge einfach platt und unglaubwürdig, etwa wenn sich Ludwig in Paris mit Napoleon III. trifft, der ein peinliches Französische-Akzent-Deutsch spricht, und die beiden sich phrasenhaft ihrer Völkerfreundschaft versichern. In all diesem Holpern und Stolpern ist auch die deutsche Starbesetzung hilflos: Für die Rolle der Kaiserin Sisi bekommt Hannah Herzsprung keinen Raum, Edgar Selge kann Richard Wagner nur angedeutet schillernde Tiefe verleihen.

Und Sabin Tambrea – Theaterschauspieler am Berliner Ensemble? Der gibt Ludwig ein frisches, impulsives, schwärmerisches, narzisstisches Gesicht.

Die Szene, in der er kurz vor seiner Thronrede als 18-Jähriger allein im Raum vor dem Thronsaal sein Spiegelbild küsst, ist eine der wenigen Perlen in einem weiteren teuren deutschen Filmschlamassel des Jahres 2012.

 

 

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