"Licorice Pizza": Die Eine oder keine

Gleich am Anfang macht es Klick. Beim Fototermin fürs Schuljahrbuch. Zum warmen Sound von Nina Simone ("July Tree") schwebt Alana (Alana Haim, Sängerin der Band Haim) mit ihrem aufreizend kurzen Minirock durch die Aula und die überdachten Korridore. Keine Süßwaren für die Kids, dafür aber einen Taschenspiegel hat die rasende Foto-Assistentin dabei: zur letzten Kontrolle für die vielen pickeligen Jungs und Mädchen, die auf dem Bild so gut aussehen wollen, wie es in der Pubertät eben geht. An seinem Spiegelbild ist Gary (Cooper Hoffman) aber weniger interessiert als an Alana. Die etwa zehn Jahre ältere, auf den ersten Blick gar nicht verführerisch süße, sondern eher fahrig bis abweisend wirkende Frau hat ihn schlichtweg elektrisiert.
Nun gilt es, in wenigen Sekunden, Alana für ihn zu interessieren, irgendwie die Telefonnummer herauszubekommen, ein erstes Date klar zu machen. Nur wie?
Bereits der Einstieg von "Licorice Pizza" ist ein Schmuckstück von einem Kurzfilm. Ein Flirt als Plansequenz hat Paul Thomas Anderson hier inszeniert, scheinbar ohne Schnitt, unglaublich nah dran an den spannenden Gesichtern dieser bisher völlig unbekannten Schauspieler. Diese ausdrucksstarken Newcomer tragen kein Make-up, stellen keine künstlich polierten Tom-Cruise-Zähne zur Schau - um es ja nicht zu zerstören, dieses natürliche, das echte Spiel, diese gleichsam schwierige wie beglückende Darstellung einer möglichen ersten Liebe, auch wenn sie nicht nur auf Grund des Altersunterschieds eigentlich unmöglich scheint.
"Licorice Pizza": Künstlerische Abkehr von früheren Arbeiten
Für Anderson ist "Licorice Pizza", der Titel weist auf einen Schallplattenladen hin, auch eine künstlerische Abkehr von zuletzt streng konstruierten Arbeiten wie "Der seidene Faden" (mit Daniel Day-Lewis und Vicky Krieps). Eine frohlockende Lockerheit ist hier zu spüren, eine anarchische Verspieltheit, die an sein Frühwerk wie die Porno-Satire "Boogie Nights" erinnert. Auch "Licorice Pizza" spielt wieder am Ort seiner Jugend, 1973, in San Fernando Valley am Rand von Los Angeles. Und ähnlich ausschweifend wie in seinen größten Arbeiten, darunter das unvergessliche Kaleidoskop "Magnolia", geht Anderson auch hier wieder vor, reiht mal absurde, mal amüsante Episoden aneinander, wie das Springen von Song zu Song auf einer Best-of-Platte.
Der rote Faden ist hier die wunderbar offene, vielschichtige Beziehung zwischen Alana und Gary. Wie Magneten ziehen sich die beiden so unterschiedlichen, nie verweilenden, immer in Bewegung bleibenden Menschen an, umkreisen sich, stoßen sich für längere Passagen aber auch wieder ab, wenn jeder wieder seiner eigenen Wege geht. Der große Kuss, das erste Mal, die filmisch schon so oft in Szene gesetzte Bestätigung einer Liebe lässt Anderson dabei aus - was das Verhältnis der beiden, die Frage nach einem klassischen Happy End, aber nur noch reizvoller macht.
Cooper Hoffman, der Sohn des früh verstorbenen Charakterdarstellers Philip Seymour Hoffman, stellt diesen Gary als selbstbewussten "Showman" dar, ein erfolgreicher Kinderdarsteller, der auch den "Ich schaffe das"-Unternehmergeist Amerikas verkörpert. Sein erster großer Hit an der Seite seiner neuen Assistentin, der immer noch nach einer Erfüllung im Leben suchenden Alana, ist der Verkauf von Wasserbetten.
Starauftritte an der Grenze zur Parodie
Da greift auch Jon Peters, Filmproduzent, Friseur und Liebhaber von Barbra Streisand zu - nur einer der vielen Promis im Cast. Denn auch Bradley Cooper darf hier zum Sex-Maniac aufgepumpt in engen weißen Schlaghosen den Wüterich markieren - ein feuriger Star-Auftritt an der Grenze zur Karikatur. Genau wie Sean Penn, der in einer Anspielung auf den Hollywood-Star William Holden im Suff auf einen Golfplatz eine Verfolgungsjagd nachspielt.
Neben diesen Schlenkern in den Hollywood-Irrsinn der 70er Jahre webt Anderson aber auch noch Politisches wie die aufkommende Ölkrise oder die Angst eines Lokalpolitikers, seine Homosexualität offen auszuleben mit ein. Das Wunderbare: Nichts an diesen Anekdoten wirkt verkünstelt. Vielmehr geben sie dem glänzend bis ins Detail ausgestatteten Film eine Textur, die ihn noch reichhaltiger, berauschender macht.
Durch die Extravaganzen kommen dann auch die wichtigen, stillen Momente zwischen Alana und Gary ganz besonders zur Geltung. Wie beim verzweifelten Anruf von Gary, wenn er kein Wort mehr herausbekommt und ihm lediglich noch sein deutlich hörbares Atmen bleibt. Bis Alana auch ohne Worte versteht, wer am anderen Ende aufgeregt schnauft und warum diese Person jetzt, in diesem entscheidenden Moment, ihre Sprache verloren hat.
"Licorice Pizza" in Kino in München
Kino: Arri, Royal und City, Monopol (auch OmU), Leopold (OmU) sowie Cinema, Museum (OV), R: Paul Thomas Anderson; (USA, 133 Min.)