Leni Riefenstahl: Die große Selbsttäuschung

Andres Veiel zeigt seine neue Doku über Leni Riefenstahl In Venedig. Dort, wo sie früher geehrt wurde
von  Adrian Prechtel
Leni Riefenstahl wird freudig von Adolf Hitler empfangen.  Foto: Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Leni Riefenstahl wird freudig von Adolf Hitler empfangen. Foto: Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Zweimal hat sie selbst in Venedig Trophäen gewonnen: mit "Triumph des Willens" und ihrem Olympiafilm von 1936, die bei der jungen Mostra Internationale d'Arte Cinematografica am Lido ausgezeichnet wurden - unter dem Direktor Giuseppe Volpi, einem großen Mussolini-Anhänger. Jetzt hat der deutsche Dokumentarfilmer Andres Veiel seinen Film "Riefenstahl" gezeigt, nicht im Wettbewerb, auch wenn man in Italien und insbesondere unter der derzeitigen Regierung nicht allzu empfindlich auf faschistische Vergangenheit reagiert.


Riefenstahl hat ihr Bild gesäubert 

700 Kisten umfasst der Nachlass von Leni Riefenstahl (1902 - 2003), den die Stiftung Preußischer Kulturbesitz verwahrt. Veiel hatte den Ehrgeiz, sich nur aus ihm zu bedienen, um sein Bild über die Schauspielerin, Regisseurin, Ethnografin und anfängliche Tänzerin Riefenstahl in knapp zwei Stunden zu entwerfen.

Das ist problematisch, weil Riefenstahl selbst bis zu ihrem Tod alles gesäubert hatte. Und außerdem sollte man vorsichtig sein, wenn man den Nationalsozialismus nur aus seiner Eigenperspektive zu entlarven versucht. Umso erstaunlicher ist dann, dass dieses Konzept mit ihren eigenen Bildern, Filmrollen, Aufzeichnungen gelingt. Hitler und Goebbels waren nur Auftraggeber für ihre reine Kunst? Und sie selbst hatte kaum Kontakt zu ihnen? Dann sieht man sie in zig Aufnahmen mit den NS-Größen sehr privat und begeistert verkehren.

Und doch: Selbst ein kurzer Zusammenschnitt des Propagandafilms des NSDAP-Reichsparteitags in Nürnberg genügt, dass man - bei allem Wissen um die Ungeheuerlichkeiten - auch nach 90 Jahren sofort einen suggestiven Magnetismus spürt, der ja beabsichtigt war.

Der Zuschauer muss gut informiert sein 

Das und auch Riefenstahls Selbstverteidigungen in Interviews verlangen also, dass ein Zuschauer reif und zuvor schon gut informiert sein muss, damit Riefenstahl nicht ein weiteres Mal selbst Regie führt bei der Interpretation ihres Lebens und ihres Werkes.

Eines aber bleibt sicher hängen: Riefenstahl war eine extreme Narzisstin. Am Ende wird nicht klar, ob sie offen lügt oder ihre eigenen Lügen selbstsuggestiv glaubt. Und manchmal hat sie sogar recht: Denn wirklich wurde ihr Olympia-Film auch im demokratischen Ausland beklatscht: Körperkult ist kein Alleinstellungsmerkmal des Faschismus.

Oder sollte man Riefenstahl einfach verschweigen?

In einer deutschen TV-Talkshow von 1976 sagt sie dann auch einem Mann mit Behinderung, dass sie keinen Film über Behinderte machen würde. Und wie die Nuba über das wiederverwendete Material ihrer Reisen in den Sudan in den 60ern und 70ern denken, bleibt in Veiels Film auch dahingestellt. So gibt es also weiterhin viel Zündstoff, wenn es um Leni Riefenstahl geht.

Anhänger der Cancel-Culture hätten da eine Lösung: endlich aufhören, Riefenstahl zu zeigen. Aber das wäre zu einfach. Und Verschwiegenes und Verdrängtes kommt irgendwann neurotisch wieder nach oben. Und da ist doch eine mit Wissen begleitete Konfrontationstherapie allemal besser.

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