"Leander Haußmanns Stasikomödie" im Kino: "Ich erzähle von der Kraft der Jugend"

AZ-Interview mit Leander Haußmann (62): Das einst gehätschelte Theater-Wunderkind aus dem Osten schließt mit "Leander Haußmanns Stasikomödie" nach "Sonnenallee" (1999) und "NVA" (2004) seine filmische DDR-Trilogie ab.
Er nimmt mit auf eine Reise des heute arrivierte Romanautors Ludger Fuchs (Jörg Schüttauf) zurück in die wilde Zeit der Bohème am Prenzlauer Berg Anfang der 1980er Jahre.
Leander Haußmann inszeniert eine nostalgische Achterbahnfahrt
Für die Stasi sollte er die Künstlerszene bespitzeln, aber schnell taucht er ein in das lockere Leben mit Freiheit, Frauen und Freundschaften.
Wie David Kross als junger Rebell Henry Hübchen als seinen schrullig-einsamen Führungsoffizier Siemens dennoch bei Laune hält, das wird zur nostalgischen Achterbahnfahrt. Der 62-Jährige geht das diffizile Thema Stasi mit Humor an. Denn was er nicht ertragen kann, ist Humorlosigkeit.
AZ: Herr Haußmann, Ihre zwölfjährige Tochter hat Sie mal gefragt: "Was ist die Stasi?" Was haben Sie ihr geantwortet?
LEANDER HAUSSMANN: Ich habe die Frage in den Film hineingenommen und gesagt, das war ein Geheimdienst im Auftrag einer Diktatur, der keine schönen Dinge gemacht hat. Aber wir sollten uns in der Gegenwart auch nicht selbstgefällig zurücklehnen. Nur weil die damals böse waren, ist heute nicht alles gut.
"Komödie ist eine Technik, die immer neu sortiert und erfunden werden muss"
Ihr Film behandelt eine eigentlich ernste Sache wie die Stasischnüffelei mit Humor. Wie wichtig ist der für Sie? In Deutschland lacht man gerne auf Kommando im Fasching.
Da schlagen Sie auf eine Taste bei mir, die ein ganzes Orchester in Gang setzt. Humor und Komik sollte man nicht verwechseln. Komik ist völlig unabhängig von Humor. Wenn es klappt, können auch humorlose Menschen lachen, nur fühlen sie sich dann erwischt und wollen es am Ende nicht gewesen sein. Komödie ist eine Technik, die immer neu sortiert und erfunden werden muss. Bis auf wenige Ausnahmen haben sie eine kurze Halbwertzeit. Sie sind das demokratischste Genre mit großem Zersetzungspotenzial.
"Kommunikation mit anderen Leuten bedeutet für mich einigen inneren Aufwand"
Mit Ihrem Namen im Filmtitel wagen Sie sich weit vor. Das hört sich nicht nach mangelndem Selbstbewusstsein an.
Mein Selbstbewusstsein befindet sich noch im Aufbau. Es steht noch immer auf schwachem Fundament. Das führt dazu, dass ich extrem lange an meinen Sachen arbeite und immer nach Fehlern suche und mich weder über Erfolge noch Komplimente freuen kann. Das betrifft übrigens viele Bereiche meines Lebens. Man mag es nicht glauben, aber ich bin ein schüchterner Mensch, vor allem außerhalb meiner Umgebung oder im Ausland. Kommunikation mit anderen Leuten bedeutet für mich einigen inneren Aufwand.
Leander Haußmann: "Wichtig war mir, nicht zu werten"
Wie viel von Ihnen oder Ihrem Hedonismus steckt in dem kleinen Anarchisten Ludger Fuchs?
Ich habe mich auf die verschiedenen Figuren verteilt. Ich bin auch etwas der Oberleutnant Siemens in seiner asozialen Verlorenheit, seiner Einsamkeit, ihm fehlt Liebe, wahrscheinlich weiß er gar nicht, was das ist. Das rührt mich und er tut mir leid. Diesen Pessimismus der Figur kann ich nachvollziehen. Wichtig war mir, nicht zu werten. Ich glaube nicht an das Böse, sondern an Menschen, die sich in bestimmten Situationen so oder so verhalten und nehme dann ihre Perspektive ein. Vielleicht bin ich am allerwenigsten Ludger, ich bin nicht konfliktscheu wie er und habe ein ausgeglichenes Verhältnis zur Ehrlichkeit. Ludgers Problem ist, dass er sich nicht offenbart, obwohl er weiß, dass sein Handeln nicht in Ordnung ist und er eigentlich nicht gerne so handelt. Aber so sind wir. Ehrlich sein ist eine Abwägungsfrage. Soll man einen Seitensprung beichten, wenn man weiter an die Liebe zueinander glaubt? Welchen Preis zahlt man da für die Ehrlichkeit?
"Ich erzähle von der Kraft der Jugend, der Kraft der Lebensfreude"
Viele Menschen in der DDR gerieren sich im Nachhinein als Widerständler, stricken an Heldenlegenden. Wie kommt das?
Die einzige Heldin, die ich persönlich kenne, ist meine Schwester, die kümmert sich jeden Tag um Sterbende in einem Altenpflegeheim. Das ist natürlich überspitzt, es gibt schon Helden, aber die meisten von ihnen machen keinen so großen Wind darum wie andere, und oft sind Wessis die großen Helden. Was ich erstaunlich finde.
Haußmann: "Ich war 30 Jahre im Osten und 30 Jahre im Westen"
Die Diskussion Ossi/Wessi ist eigentlich vorbei.
Ist sie nicht. Aber ein Film, der in der DDR spielt, muss ja nicht unbedingt ein politischer Film sein. Ich erzähle von der Kraft der Jugend, der Kraft der Lebensfreude. Über eine Welt, die es immer geben wird, und zu der ich im Gegensatz zu denen, die im Tal der Ahnungslosen wandelten, Zugang hatte. Ich war 30 Jahre im Osten und 30 Jahre im Westen und weiß, wovon ich spreche.
Sie machten lange Theater, Fernsehen, Film - verzetteln Sie sich da nicht?
Ich war immer unterwegs, mit kleineren Zwischenstopps. Während der Pandemie habe ich gelernt, wieder loszugehen und auch loszulassen. Sich nicht auf den Staat oder die Leute zu verlassen, mit denen man in Friedenszeiten gearbeitet hatte. Theater zu, Kinos zu, das hat reingehauen. Ich hätte wahnsinnig werden können, aber da habe ich mich eben auf das Schreiben konzentriert. Und die Pandemie überstanden. Danach war ich bankrott. Übrigens haben mir etliche meiner Freunde Geld in dieser Zeit geliehen. Bei Geld fängt die Freundschaft nämlich an. Und bei mangelndem Humor hört die Freundschaft auf.
Leander Haußmann über Bayern und Humor
Haben Sie dem Münchner Publikum den Aufstand nach der Neuinszenierung der "Fledermaus" im Dezember 1997 in der Staatsoper verziehen?
Sauer sein aufs Publikum? Damit sollte man gar nicht erst beginnen. Aber die "Fledermaus" ist ein Nationalheiligtum, das wusste ich damals nicht. Dabei war ich in München ziemlich erfolgreich. Aber am Tag nach der Premiere haben mich wildfremde Leute auf der Maximilianstraße beschimpft: "Da geht das Schwein." Da war mir klar, es gibt kein Bundesland, in dem der Humor so ernst genommen wird wie im Freistaat Bayern.
"Der größte Kampf im Älterwerden ist allein der gegen die Verbitterung"
Sie haben sich mal als "ich war jung, hübsch und ungezogen" charakterisiert. Was sind Sie jetzt? Alte weiße Männer sind inzwischen in Verruf geraten.
Finden Sie mich alt? Das habe ich jetzt gerade noch gebraucht. Ich dachte, ich gehöre nicht zu denen und bin mir auch keines Verbrechens bewusst. Außerdem bin ich Ossi und werde auch diskriminiert. Der größte Kampf im Älterwerden ist allein der gegen die Verbitterung. Dass du deine knöchrige Faust nicht gegen den Himmel reckst und dein Schicksal beklagst. Also jung bin ich noch, das ist auch eine Geisteshaltung, hübsch natürlich nicht mehr, aber schon als ich jung war, habe ich mich mehr für die Alten interessiert. Als ich mich mal bei einem bekannten Theaterregisseur für meine "Konventionalität" entschuldigte, hat er gelacht und gesagt: "Mach dir keinen Kopf, du bist doch eine Legende." Eine Legende zu sein, das beunruhigt mich irgendwie, davon kann man sich nichts kaufen. Noch mehr beunruhigt hat mich das "Kompliment" eines mächtigen Produzenten, der meinte, "für mich bist du ein Genie". In der Filmwelt könnte das ein Codewort sein wie: Vorsicht, schlecht zu verkaufen! Genau wie das Wort Künstler. Vor nichts fürchten die sich in den Chefetagen unserer Branche mehr als vor diesem Wort, das heißt nämlich: Der diskutiert viel, braucht lange und ist unkalkulierbar.

Und was ist mit "ungezogen"?
Ungezogen ist ja sexuell ganz schön anrüchig, Für mich bedeutete das Rock'n'Roll, nie die Neugier aufgeben, auf Kante leben. Das ist an kein Alter gebunden. Dass wir Künstler Vorbilder sein sollen, ist der größte Unfug. Kunst ist Rock'n'Roll und muss sich immer wieder selbst in Frage stellen und vor allem dem ganz großen übergeordneten Spießertum, dessen verlängerter Arm in unseren Augen die Stasi gewesen ist, auf den Sack gehen und zwar für alle Zeiten, im Gestern, im Heute und Morgen.
Leander Haußmann: "Ich wollte mich eigentlich langsam zur Ruhe setzen"
Ein Satz von Ihnen gefällt mir besonders gut: "Wenn etwas Scheiße war, kam etwas Besseres." Sind Sie sowas wie ein Glückspilz?
Ich bin "Hans im Glück" mit einem Schuss "Guck in die Luft", bin früher oft rausgeschmissen oder -geekelt worden, danach fand ich immer was Besseres. Und abgesagte Projekte wurden durch geeignetere ersetzt. Die Not hat mir gezeigt, wer meine Freunde sind. Ich wollte mich eigentlich langsam zur Ruhe setzen, aber das geht noch nicht, und darüber bin ich auch ganz froh. Und gesund bin ich auch noch, habe wunderbare Kinder, eine schöne Frau und jetzt kommt ein origineller Film ins Kino, auf den ich sehr stolz bin. Das war lange Zeit nicht absehbar. Also bin ich ein Glückspilz.