Kritik zu "In der Nacht des 12.": Von Innen aufgefressen
In der TV-Krimiflut Deutschlands könnte man meinen: Im Kino braucht es keine weiteren Ermittlungen mehr. Aber dann kommt: "In der Nacht des 12."
Komplizierte Puzzlearbeit für die Ermittler
Ein Mord erschüttert die Kleinstadt in den französischen Alpen: In der Nacht des 12. Oktobers wird die 21-jährige Clara auf dem Heimweg von einer Party mit Benzin übergossen und angezündet. Wer tut so etwas Barbarisches?
Für die Polizei beginnt eine komplizierte Puzzlearbeit mit der Suche nach Indizien, Vernehmung von Familie, Freundinnen, Freunden, jüngeren und älteren Ex-Liebhabern. Auch wenn die Ermittler, vor allem Teamchef Yohan und sein Kollege Marceau aus Grenoble, jede noch so winzige Spur verfolgen, die Suche nach dem Täter verliert sich. Und dann wandert der Fall zu den Akten. Sorgt die Wiederaufnahme drei Jahre später für Aufklärung?
Durchbruch 2000: "Harry meint es gut mit dir"
Weit entfernt von den Regeln des Genres und TV-Krimis nach dem üblichen Schema – Mord, Ermittlung, Entlarvung – serviert Dominik Moll einen psychologisch packenden und Adrenalin treibenden "Film Noir" ohne spektakuläre Schockmomente, an dessen Ende Ratlosigkeit, Frust und Wut der Verzweiflung stehen. Der französische Regisseur, der als Sohn eines deutschen Vaters und einer französischen Mutter in Baden-Baden aufwuchs, vermisst seit seinem Durchbruch mit "Harry meint es gut mit dir" (2000) das Genre neu und mit sehr persönlicher Handschrift.
Sein Film bezieht sich auf das Buch "18.3– Une Année à la PJ" von Pauline Guéna, die ein Jahr lang bei der Kripo von Versailles verbrachte, konzentriert sich aber nur auf 40 der 500 Seiten des Romans und auf den Polizisten Yohan, den der Mord an Clara nicht mehr loslässt.
Mit seinen kleinen und großen Dramen taucht Dominik Moll tief ein in Befindlichkeiten, Empfindlichkeiten und Wut: die Polizisten, die sich über bürokratischen Kleinkram, unbezahlte Überstunden und mangelnde Finanzen ärgern, die Verdächtigen, "Sex Friends" und Komplizen einer Gewaltkultur ohne Respekt und Empathie gegenüber der Toten, die Eltern, die den Verlust der Tochter nicht verwinden können.
"Männer begehen Verbrechen und Männer versuchen sie zu lösen"
Den roten Faden bildet die Beziehung zwischen den Geschlechtern, die nicht nur physische, sondern auch verbale männliche Gewalt gegenüber Frauen. "Zwischen Männern und Frauen stimmt etwas nicht" wie es die Untersuchungsrichterin einmal formuliert. Hinterfragt werden unausrottbare Männlichkeitsvorstellungen und Codes einer Männerwelt, in der "Männer Verbrechen begehen und Männer versuchen, die Verbrechen zu lösen".
Genial ist die Darstellung der zwei gegensätzlichen Polizistentypen. Bastien Bouillon als rätselhafter Einzelgänger, der sich ganz seinem Beruf verschreibt und sich wie besessen an dem Fall abarbeitet, der ihn "von innen auffrisst". Ihm zur Seite steht routiniert Bouli Lanners ("Der Geschmack von Rost und Knochen"), ein sentimentaler Hitzkopf, dem bei hart gesottenen Kerlen schon mal die Hand ausrutscht.
Ein Hauch von Melancholie und Düsternis
Man identifiziert sich mit den Ermittlern, ihren Zweifeln, ihrer Verunsicherung, die vielleicht aus Selbstschutz mal in Zynismus umschlägt. Über allem schwebt ein Hauch von Melancholie und Düsternis.
Noch vor dem Titel wird am Anfang für den Zuschauer die nüchterne Info eingeblendet, dass 20 Prozent aller Mordfälle unaufgeklärt bleiben und dieser Film von so einem Fall erzählt.
Dennoch fiebert man vernunftwidrig mit und hofft auf die Erfassung des Verbrechers, auf Sühne und Strafe. Diese Finte schafft Moll mit meisterhafter Finesse.
Kino: Monopol (auch OmU)
Regie: Dominik Moll (F/D, 115 Min.)