Klimasünder Filmindustrie? Darum sollte James Bond Fahrrad fahren

Filmproduktionen, die Unmengen an Strom verschlingen und die durch Einweggeschirr für Müllmassen sorgen: Das war lange die Realität in der Branche und nicht nur in Deutschland. Mittlerweile achten die Produktionsteams auf ihre Öko-Bilanz – auch weil es seitens der Politik heute verpflichtende Vorschriften gibt. Die Möglichkeiten, Produktionen nachhaltiger zu gestalten, sind umfassend und reichen vom Handlungsfeld Energie bis zum Catering. Bei der Umsetzung der ressourcenschonenden Filmproduktion können sogenannte "Green Consultants" helfen, Nachhaltigkeitsberater am Filmset. Zu ihnen gehört auch Judith Niemeyer, die Workshops zum "Green Producing" anbietet – und zu dem Thema, wie Filme Zuschauer durch das Verhalten der Protagonisten prägen. Auch hier gebe es Verbesserungspotential.

AZ: Film- und Fernsehproduktionen haben teilweise eine sehr schlechte Klimabilanz. Woran liegt das?
JUDITH NIEMEYER: Die Mobilität und die Energie sind meist die Haupttreiber. Bei vielen Dreharbeiten gibt es einen großen Fuhrpark. Technik, Team und Darsteller müssen transportiert werden und es sind viele Lkws sind im Einsatz. Manchmal legen sie Tausende von Kilometern zurück. Auch die Energieversorgung ist bei Produktionen mit vielen Motivwechseln oft ein großes Problem, weil oft mit Diesel-Aggregaten gearbeitet wird. Arnold Schwarzenegger hat 2006 als Governor in Kalifornien eine Studie bei der UCLA University of California in Auftrag gegeben, da stellte sich heraus, dass der Carbon Footprint der Hollywood Industrie an zweiter Stelle kommt, gleich nach der Öl-Industrie. Vor allem die aufwändigen High-Budget-Filme emittieren viele Treibhausgase.
Mittlerweile hat sich da aber schon was getan.
Im Studiobereich gibt es die großartige Nachricht, dass alle Filmstudios in Deutschland Grünstrom nutzen. Auch für die Diesel-Aggregate gibt es mittlerweile Lösungen: Hybridsysteme mit Akkus und Photovoltaik auf den Fahrzeugen haben eine deutlich bessere Bilanz als die Diesel-Aggregate. Bei der Beleuchtung wird heute auch oft Energie eingespart, weil in vielen Fällen auf das stromfressende Glühlicht verzichtet und stattdessen mit LED oder anderen energieeffizienten Lichtsystemen gearbeitet werden kann.
In Deutschland ist die ressourcenschonende und umweltfreundliche Herstellung von Filmen, das "Green Producing", sogar Pflicht.
Für alle Produktionen, die mit öffentlichem Geld produziert werden, gelten heute bundesweit verpflichtende ökologische Standards, die zur Voraussetzung für die Filmförderung durch Bund und Länder geworden sind, von denen die meisten Filmproduktionen finanziell abhängig sind. Denn das Bundesministerium für Kultur und Medien (BKM) und die Filmförderanstalt (FFA) haben sich dem Arbeitskreis "Green Shooting" angeschlossen, der diese Standards entwickelt hat.
Was beinhalten diese Standards?
Zu den 22 Muss-Vorgaben gehören zum Beispiel ein Veggie-Tag pro Woche, regionale oder Bio-Lebensmittel beim Catering und der Verzicht auf Einweg-Becher. Was den Transport angeht, wurde festgelegt, dass jedes dritte Fahrzeug CO2-reduziert sein muss, also ein E-, ein mit Erdgas betriebenes Fahrzeug oder ein Hybrid. Außerdem ist vorgeschrieben, dass Recyclingpapier und Akkus verwendet werden müssen statt Einwegbatterien. Die Standards sind in Deutschland in der Form übrigens einzigartig. In England haben die BBC und die BAFTA einiges vorangebracht, als sie in Europa den ersten CO2-Rechner für Film und TV etabliert haben, aber verpflichtende Standards wie wir haben sie nicht.
Soweit die Theorie zu den Standards – aber lassen die sich in der Praxis so leicht umsetzen?
Manchmal ist es schwierig: Wenn es zum Beispiel nicht genug Ladesäulen gibt, keine E-Fahrzeuge als Mietwagen zur Verfügung stehen oder diese zu teuer sind - diese Muss-Vorgabe wird bei großen Produktionen fast nie eingehalten.
Eine verpflichtender Standard, der nicht erfüllt wird? Klingt widersprüchlich.
Im begründeten Ausnahmefall ist das erlaubt, man hat bei den 22 Vorgaben fünf "Joker". Jede Produktion ist anders, daher sind die Joker sinnvoll.
Eine Muss-Vorgabe ist auch, einen Green Consultant zu beschäftigen. Was ist die Aufgabe dieser Person?
Ein Green Consultant ist ein Nachhaltigkeitsberater für Filmproduktionen. Er oder sie hilft bei der Einhaltung der ökologischen Standards und einer möglichst ressourcenschonenden, CO2-armen Produktionsweise. In Bayern kann man dazu eine zertifizierte Weiterbildung an der IHK München machen, , bei Philip Gassmann, der die ökologischen Standards mit dem Arbeitskreis Green Shooting ins Leben gerufen hat. Die habe ich 2020 mit der ersten Gruppe absolviert.
Wie sieht Ihre Arbeit am Set konkret aus?
Je früher man bei einer Produktion einbezogen wird, desto eher kann man die Weichen neu stellen und Dinge verändern. Das ist oft die Crux, weil im Film- und Fernsehgeschäft häufig sehr kurzfristig geplant wird und das Budget knapp ist. Eine Muss-Vorgabe ist, Kurzstrecken mit der Bahn zu fahren. Das kann man auch in die Verträge der Schauspieler schreiben. Je früher man sowas abspricht, desto machbarer ist es. Ein Beispiel aus dem Bereich Energienutzung: Wenn man für einen Drehort in der Stadt den Stromanschluss beantragen will, dauert das ein paar Tage. Sich ein Dieselaggregat zu holen – wie man es immer schon gemacht hat – ist einfacher. Aber das ist eigentlich eine Sauerei. In vielen Fällen sind die Vorurteile und die Angst vor neuen Herangehensweisen groß. Das bedeutet viel Überzeugungsarbeit für den Green Consultant.
Und wie kommt diese Überzeugungsarbeit bei den Beteiligten an?
Es gibt solche und solche Reaktionen. Die, die mich als Green Consultant schnell willkommen heißen, sind meist junge Mitarbeiter*innen. Es gibt aber auch bei der älteren Generation Beteiligte, die sagen, dass das überfällig ist und sie es leid sind, die unnötige Ressourcenverschwendung weiter zu beobachten. Dann gibt es aber auch die, die sich wahnsinnig schwer tun mit Veränderung. Das ist die Kunst, in der Kommunikation sehr empathisch und unterstützend zu wirken.
Sie sind nicht nur Dozentin für Green Producing, sondern auch für Green Storytelling. Was bedeutet das?
Beim Green Storytelling geht es um den Film- und Fernsehinhalt an sich. Beim expliziten Green Storytelling stehen Klimawandel-Themen im Vordergrund und betreffen die Hauptrollen. Implizites Green Storytelling funktioniert durch die Bildsprache oder das Verhalten des Protagonisten, der zum Beispiel einen Falafel isst, es aber gar nicht thematisiert. Dann wird die Geschichte eben nicht im Auto erzählt, sondern in der Bahn. Es geht darum, die Realität und unsere Möglichkeiten besser abzubilden, ohne belehrend zu wirken. Mit Windrädern im Hintergrund. Es ist eigentlich ganz einfach, wird aber nach wie vor viel zu wenig gemacht, weil oft gängige Erzählmuster gewählt werden. Ich denke, dass wir den größten Hebel über das Inhaltliche haben. Wir brauchen neue Held*innen mit Vorbildfunktion, wie James Bond auf dem Fahrrad mit Fahrradhelm. Oft wird mit dem Katastrophennarrativ gearbeitet. Aber viele Leute haben Angst vor der Zukunft. Wir brauchen daher konstruktive Lösungsansätze, neue Geschichten darüber wie einewünschenswerte Zukunft aussehen könnte. Eine Studie der Malisa Stiftung zeigt, wie wenig die Themen Klimawandel und Biodiversität in unseren Filmen stattfinden. Wir sollten in der Film- und Fernsehbranche die Verantwortung dafür übernehmen, dafür dass wir Geschichten erzählen, die die Zuschauer prägen, unterbewusst und bewusst.
Im Bereich Green Producing hat sich viel getan, Green Storytelling steckt noch in der Kinderschuhen.
Ich würde mir wünschen, dass man in diesem Bereich auch Fortschritte erreicht. Ich will nicht, dass alle nur noch Filme über die Klimakrise machen. Aber wir sollten uns fragen, was wir für Protagonisten entwickeln und welche Bildsprache wir präsentieren, die uns positiv beeinflussen und uns motivieren, umzudenken.
Ist die Beratung zum Green Storytelling auch ein Teil der Arbeit als Green Consultant?
Bislang ist das in den meisten Produktionen nicht gewünscht. Dafür wird man in der Praxis als Green Consultant nicht engagiert. Ich spüre aber, dass das Interesse daran wächst.