Kino: Kevin Costner enttäuscht in Cannes mit seinem Westernepos "Horizon"

Nach Coppola folgt in Cannes Costner mit einem selbst finanziertem Flop
von  Adrian Prechtel
Kevin Costner steckte 20 Millionen Dollar Eigenkapital in seinen Western "Horizon". Und es sollen noch drei weitere Teile folgen.
Kevin Costner steckte 20 Millionen Dollar Eigenkapital in seinen Western "Horizon". Und es sollen noch drei weitere Teile folgen. © Festival du Cannes

Cannes wird zunehmend zu einer Götterdämmerung für alte Regiemythen. Nach George Millers Unfähigkeit seine "Mad Max"-Saga 45 Jahre später modern zu beenden oder Coppolas gigantischer Lachnummer "Magalopolis" hat nun Kevin Costner das Western-Genre zu Grabe getragen, das ja von ihm 1990 mit "Der mit dem Wolf tanzt" selbst aufgefrischt worden war.

Nun hat er "Horizon" gezeigt, ein reaktionärer, einseitig auf die ins Indianerland hineindrückenden Siedler beschränkter pathetischer Dreistunden-Kitsch. Das ist umso merkwürdiger, da Costner 20 Millionen Dollar Eigenkapital eingesetzt hat, um den Film ganz authentisch zu machen - und es stehen noch drei weitere Teile bevor. Herausgekommen sind bei diesem Auftakt Klischeesätze und Schauspieler (immerhin Costner selbst, Sienna Miller und Sam Worthington), die - vom Gangster, über die Hure bis zum naiven Neuankömmling - in Stereotypen und abgenutzten Gesten gefangen sind. Sie müssen auch noch Sätze aufsagen, die in ihrer pathetischen Künstlichkeit an die goldene Hollywood-Ära der 30er bis 50er-Jahre erinnern. Und wenn doch einmal edle Wilde zu Wort kommen, dann immer gravitätisch.

Costner will den Western wiederbeleben


Dass die Indianer in ihrem eigenen Land auf verlorenem Posten sind, daran lässt der Film keinen Zweifel. Denn am Beispiel der titelgebenden Siedlung "Horizon" wird der unaufhaltsame Siedlungsdruck der Kolonisatoren erzählt - durchaus mit viel Blutzoll: bei den Indianern, auf die es ein Kopfgeld gibt, aber auch unter den Siedlern, weil hier keine staatliche Macht für Ordnung sorgt.

Nur das gute US-Militär hält sich hier an Verträge. Von der ersten Sekunde an wird "Horizon" in schrecklicher, jede Wendung überakustisch vorwegnehmender Filmmusik (John Debney) ertränkt. Es ist zum Heulen. So herrschte in der Pressevorführung eine peinlich berührte Stimmung.

Aber in Cannes gibt es immer den nächsten Film und Aufregendes zu entdecken. "Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Filme sehen, die einen beißen und stechen. Wenn ein Film uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu sehen wir ihn denn dann?" Das hat Franz Kafka 1904 einem Freund geschrieben - aber im Originalzitat natürlich "Buch" statt Film gesagt. Aber dieses Diktum passt ja genauso auf das Kino. In diesem Sinne ist der Wettbewerb zuletzt stärker bei dem angekommen, was Filmkunst sein kann: intelligent, gut gemacht, dabei zum Nachdenken zwingend.

Ben Wishaw spielt den russischen Lebenskünstler Eddie Limonov.
Ben Wishaw spielt den russischen Lebenskünstler Eddie Limonov. © Festival du Cannes

Eddie Limonov oder: Sex, Drugs & Velvet Underground

Der provokante russische Exilregisseur Kirill Serebrennikow hat einer schillernden Figur einen Film gewidmet. Egal, ob man schon etwas vom Schriftsteller Eddie Limonov (1943 - 2020) gehört hat, es ist eine irre Geschichte: von der Sowjetunion als uneinbindbar ins Exil geschickt, lebt er in den 70ern in New York ein Sex-, Drugs- und Velvet-Underground-Leben. Erst später wird er in Frankreich und dann in der westlichen Welt bekannter, ehe er - während Glasnost und Perestoika - nach Russland zurückkehrt.

Dort gründet er eine nationalbolschewistische Partei und kommt als Verfassungsfeind ins Gefängnis. "Limonov - The Ballade" wurde in Cannes frenetisch beklatscht, wobei nicht ganz klar ist, ob die Zuschauerinnen und Zuschauer wirklich den fantastischen, sexuell aufreizenden Film beklatschten oder den Regisseur als von Putin bedrohten Dissidenten.

Der wilde Film macht es dem Zuschauer nicht leicht: Ben Wishaw spielt Limonov in den abgefuckten Straßen New Yorks als Mischung aus Jack Kerouac und Lou Reed. Es ist auch seine Bereitschaft zu Gewalt und Selbstzerstörung, die den Baader-, Mussolini- und Lenin-Verehrer zu einer Zeitbombe machen: gerade auch in seinem Hass auf den Konsumkapitalismus und die Exilrussen, die sich als Dissidenten feiern lassen, während sie es sich als Westlieblinge bequem gemacht haben. Als Eddie gegen Ende ins Faschistoide kippt, kippt auch unsere Sympathie in Aversion.

Zu spät? Sind wir nicht auch der Faszination des anarchischen Aussteigers erlegen, der sogar zur revolutionären Tat bereit ist? Bequem macht es uns Kirill Serebrennikow jedenfalls nicht, weil wir uns selbst dauernd neu zu Limonov und seinem Verhältnis zu den gesellschaftlichen Verhältnissen positionieren müssen.

Emilia Perez (Karla Sofía Gascón) war mal ein Narco-Gangsterboss.
Emilia Perez (Karla Sofía Gascón) war mal ein Narco-Gangsterboss. © Festival du Cannes

Das gleiche vitalisierende Zuschauerspiel betreibt der Franzose Jacques Audiard allerdings in die andere Richtung: vom Schock zur Sympathie in einer bizarren Geschichte. Der größte Drogenboss Mexikos heuert eine Rechtsanwältin an, die ihm helfen soll, eine andere Identität anzunehmen.

Ein Drogenboss will eine neue Identität - als Frau 

Der Clou: Er will den Identitätswechsel nicht, um sein Leben vor einem Anschlag oder der Justiz zu retten, sondern weil er schon immer eine Frau sein wollte. Audiard mutet dem Zuschauer oft Hartes zu - wie in "Rost und Knochen" mit Marion Cotillard, der beide Beine von einem Orca abgebissen werden oder beim Palmengewinner "Dheepan" 2015 über das brutale Leben eines nach Frankreich eingewanderten Tamilen. Aber diesmal ist die Geschichte um eine Transfrau (gespielt von Karla Sofía Gascón) in ein extrem unterhaltsames, aber ernstzunehmendes Musical-Drama verpackt.

Wobei der Übergang von Spielfilm-, Tanz- und Singszenen so fließend geschieht, dass Witz, Dramatik und Emotionalität noch gesteigert werden. Und so erliegen wir als Zuschauer zunehmend dem Charme und dem sozialen und politischen Engagement des brutalen Narco-Gangsterboss' Manitas, dem wir nach 45 Minuten befreit als "Emilia Perez" weiterfolgen.

Dass man als Zuschauer diesen wilden Ritt durch Melodram und Musical sowie die Fragen von Schuld und Vergebung, nach Käuflichkeit und Freiheit und nach Liebe und sexueller Identität mitmacht, ist einer Meisterschaft Audiards zu verdanken, die man in diesem Feld so nur von Pedro Almodóvar kannte.

Wer aus diesem Film kam, glaubte bereits die Goldene Palme gesehen zu haben. Aber es ist ja erst Halbzeit. Es fehlen zum Beispiel noch Routinier David Cronenberg mit einem Bodyhorrorfilm. Ob "The Shrouds" die nächste filmische Beerdigung eines alten Genreklassikers wird? Body Horror hat auch gerade die Französin Coralie Fargeat gezeigt: Demi Moore injiziert sich hier eine verbotene, titelgebende "Substanz", um als ausgemusterter Hollywoodstar wieder jung und sexy zu sein.

Vom angekündigten feministischen Blick des Films ist hier aber nichts zu sehen, weil diese Schönheitswahn-Satire in ewig wiederkehrenden Klischees dann doch den erotisch-männlichen Blick auf die Frau befriedigt. Ehe sie zum Monster wird - das allerdings derart radikal und splatternd, dass einem übel zu werden droht.

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