Kino: AZ-Filmkritik - Axolotl Overkill mit von Helene Hegemann

Eine 18-jährige Bildungsbürgertochter schreibt einen aggressiv-tabulosen Roman über ihr Lebensgefühl: "Axolotl Roadkill" wird 2010 zur literarischen und feuilletonistischen Sensation, und Helene Hegemann geistert durch die Talkshows. Auch dass bald Plagiatsvorwürfe über große Textpassagen auftauchen, schadet dem Hype nicht. Sieben Jahre später ist jetzt der wilde Roman Film geworden. Regie: Helene Hegemann, denn aus ihrer Sicht hatte den Stoff keiner so richtig verstanden. Der Titel: "Axolotls Overkill", denn filmisch sollte dem mexikanischen Schwanzlurch, der als Dauerlarve nicht erwachsen wird, noch einmal was draufgelegt werden. Und das ist radikal gut gelungen!
Zuschauer geraten in eine aufregende, leichte Verwirrung
Die große Suchende ist die 16-jährige Mifti. Jasna Fritzi Bauer spielt sie so verzweifelt rotzig, dass man hinter der rebellischen Aggression ihre Hilf- und Orientierungslosigkeit fast physisch spürt. Der Clou des Films ist, dass er wild, frech und spielerisch vollkommen die Perspektive von Mifti einnimmt. Auch ihre Phantasie wird als real mitbebildert und eingestreut: so wenn die notorische Schulschwänzerin am Morgen vor der Haustür die Vision hat, nach einem Neutronenbomben-Schlag lägen alle tot auf der Straße. Überhaupt gerät man als Zuschauer in eine aufregende, leichte Verwirrung, weil der Film sich vom Hirn-Chaos des jugendlichen Mädchens infizieren lässt. Die Kamera umspielt die Szenen, wickelt uns Zuschauer mit ein.
Die Altersfreigabe ab 12 Jahren ist gewagt, aber wichtig und richtig
So sind wir Teil dieser späten Teeniewelt, die verfickt, verdrogt, verschlafen, vertanzt und verrückt ist – alles gepaart mit dem Selbsthass und der Arroganz eines intelligenten Mädchens. So kommt man aus diesem Film selbst wie im Morgengrauen aus einer Clubnacht: durchgeschüttelt, geblendet, durchzuckt und leicht verkatert, mit ein paar Abenteuern hinter sich, von denen man nicht genau weiß, ob man sich an sie erinnern will. Mifti selbst nimmt an so einem Morgen vollgepumpt, fertig und aufgekratzt ein Taxi und überredet den überforderten Taxifahrer zum Sex auf der Kühlerhaube: spontan überdrehter Spaß trifft pure Verzweiflung!
Das Geniale an diesem Drama ist, dass es in keinem Moment pädagogisch wertet. Und auf wunderbare Weise ist "Axolotl Overkill" auch nie voyeuristisch oder pornografisch. Die Altersfreigabe ab 12 Jahren ist dabei gewagt, aber wichtig und richtig, weil auch Jugendliche in diesen Film gehen sollten. Er zeigt sie suchend, alleingelassen, leer und zwingt uns Zuschauer die unbequeme Freiheit auf, selbst zu fühlen und überlegen, was da falsch und was richtig läuft.
Das führt auch in die Welt der Erwachsenen. Und bei näherer Betrachtung liegt hier die eigentliche Katastrophe: Miftis tiefe Haltlosigkeit ist nur ein Spiegel einer versagenden Erwachsenenwelt.
Sie ist selbst völlig ohne Haltung, versackt in einer hilflosen, kranken Liberalität, die alles erlaubt: nicht aus Überzeugung, sondern aus peinlicher Schwäche, weil man etwas anderes selbst nicht mehr vorleben oder vordenken kann.
Selten hat man im Kino ein derart verdichtetes, radikales und dabei enorm vielschichtiges Porträt gesehen: der Jugend, der Gesellschaft und unserer Erwachsenenwelt. Ist das nicht alles übertrieben? Nein, nur durch das Empfinden einer Teenagerin überzeichnet, aber dadurch noch klarer.
Kino: Cinemaxx, Leopold, Monopol
B&R: Helene Hegemann
(D, 94 Min.)