Kinder, Kinder, diese Inder: Der Traum von Bollywood im Kino
"Wir Deutsche haben Angst, dass ihr uns an den Säckel wollt. Deswegen machen Sie am besten in Deutschland alles so wie die Deutschen - und bleiben Sie dabei wie sie sind." Diese hier ironisch eingesetzten Tipps für eine gelungene Integration kommen in dem Familienfilm "Träume sind wie wilde Tiger" nicht von einem politischen Phrasendrescher. Sondern von Roberto Blanco, einem Schlagersänger, der sich mit seinen 84 Jahren längst als Deutscher fühlt - auch wenn er in Tunesien geboren und in Beirut aufgewachsen ist.
Es ist nur eine kurze Szene im Flugzeug und doch bringt sie das gewitzte Spiel des Films mit Vorurteilen und mit dem Durchbrechen von Klischees treffend auf den Punkt. Die unkonventionelle Herangehensweise beginnt schon beim Hauptthema: Bollywood.
Die Handlung konzentriert sich auf das Schöne, die Kraft der Fantasie
Die bunten, künstlich überhöhten Tanzfilme aus Indien waren vor 15 Jahren auch im Westen der große Schrei, Shah Rukh Khan ein globaler Star und "Slumdog Millionär" ein Oscar-Gewinner. Nun ist der Hype längst verblasst, machen immer mehr Schlagzeilen um eine ausbeuterische Film-Industrie mit Zensurproblemen die Runde.
"Träume sind wie wilde Tiger" bleibt aber auch hier seinem etwas abstrakten Titel treu und konzentriert sich in seiner stark mit Gegensätzen arbeitenden Handlung auf die positive, der Wirklichkeit entrückten Kraft von Fantasien. Für Ranji (umwerfend natürlich: Shan Rubitzky) ist das Beste an Indien nun mal Bollywood und "Bollywood mein Leben".
Träume VS. Wirklichkeit
Sein großer Traum ist es einmal an der Seite des Superstars Amir Roshan (Terence Lewis) vor der Kamera zu stehen. Ranjis Vater Sunil (Murali Perumal) kann mit dieser Wunschvorstellung wenig anfangen. Für ihn ist das Leben kalkulierter, wie Mathematik, denn "unter dem Strich muss alles stimmen". Klar, dass der Risikoanalytiker bei der Möglichkeit in Berlin zu arbeiten, sofort zugreift, auch wenn Ranji dabei seine Heimat Mumbai und mutmaßlich auch seinen Traum aufgeben muss.
Der Anfang in Deutschland ist schwer
Der "Tatort" erfahrene Regisseur Lars Montag zeigt diesen Gang in die Fremde in bewusst überspitzten, der Empfindung von Ranji entsprechenden Bildern. Denn so feindselig grau sah Deutschland wohl noch in keinem Film aus. Die Alltags-Tristesse steigert sich für Ranji noch, als er in der Schule als "Billigfakir" gemobbt wird und ihm sogar das Smartphone, den einzigen Kontakt zum liebevoll spinnerten, in Mumbai lebenden Opa Daada (Irshad Panjatan, der Häuptling aus "Der Schuh des Manitu"), entwendet wird.
Montag gelingt es, dass sein Kinderfilm in diesen Momenten nie ins bittere Sozialdrama abgleitet. Dafür sorgen schon die fulminant choreographierten Bollywood-Tanz-Träumereien von Ranji, die die Handlung wie in den Film-Vorbildern aus Indien immer wieder originell unterbrechen. Auch Ranjis vorsichtige Annäherung an die von der Trennung der Eltern frustrierte Nachbarstochter Toni (Annlis Krischke) hat nichts konstruiert Aufgesetztes.
Eine ideale Abwechslung in dieser grauen Zeit
Und wenn die beiden Außenseiter für Ranjis heimliche Bollywood-Pläne ein pfundiges Bewerbungsvideo mit Schattenspielen und Fingertricks zaubern, hebt der fantasievolle, warmherzige Film endgültig ab und wird zum idealen Kino-Kontrastprogramm in finsteren Pandemie-Zeiten.
Kino: CinemaxX, Solln, Mathäser, Museum Lichtspiele
Regie: Lars Montag (D, 95 Min.)
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