Interview

Joachim Meyerhoff im Interview: "Skurrilität findet man überall"

Joachim Meyerhoff über seine wunder- und sonderbare Kindheit sowie die Verfilmung seines Romans "Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war".
von  Markus Tschiedert
Joachim Meyerhoff auf der Premiere von "Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war".
Joachim Meyerhoff auf der Premiere von "Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war". © Warner

Als Schauspieler erlebte man Joachim Meyerhoff meist auf der Bühne. Der Absolvent der Münchner Otto Falckenberg-Schule hatte u.a. Theaterengagements in Köln, Hamburg, Berlin und Wien. Der heute 55-Jährige entwickelte mit "Alle Toten fliegen hoch" noch ein eigenes in sechs Teile unterteiltes Programm, basierend auf wahren Geschichten aus seinem Leben. Ab 2011 brachte er diese auch als Buchform heraus.

Besonders der zweite Teil, "Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war", stach heraus, weil Meyerhoff darin seine eigene Kindheit reflektierte. Denn sein Vater war der Psychiater Hermann Meyerhoff (1932-1993), der in den Siebzigern eine Jugendpsychiatrie in Schleswig-Hesterberg leitete, wo er mit Ehefrau Susanne und den gemeinsamen drei Söhnen auf dem Klinikgelände wohnte. Joachim Meyerhoff war der Jüngste und erlebte die psychisch labilen Patienten hautnah mit, was für ihn nichts Ungewöhnliches war. Der Vater starb früh, der mittlere Bruder Martin verunglückte bei einem Autounfall.

Nun läuft die Verfilmung von "Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war" von Regisseurin Sonja Heiss in den Kinos.

AZ: Herr Meyerhoff, wie fühlt sich das an, sein eigenes Leben in einem Film vorgeführt zu bekommen?
JOACHIM MEYERHOFF: Das fühlte sich wie eine Wellenbewegung an, weil sich Regisseurin Sonja Heiss mit ihrer Adaption dem Buch gegenüber einige Freiheiten herausgenommen hat. Manche Sachen haben mich dabei umgehauen, weil sie sehr nah waren.

Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
Etwa der besondere Umgang mit den Menschen mit Behinderung, die im Film auftreten. Eine tolle Mischung aus Menschlichkeit, Herzlichkeit, Skurrilität und Eigenwilligkeit. Das hat Sonja Heiss fantastisch umgesetzt. Im Film ist das ja ein heikler Punkt. Denn wie bildet man eine Psychiatrie aus dem Blickwinkel eines Kindes ab?

"Besonders bewegt hat mich auch eine Szene am Ende mit Devid Striesow"

Haben Sie das als Kind genau so erlebt?
Ja, das war unmittelbar das, was ich erlebt habe. Besonders bewegt hat mich auch eine Szene am Ende mit Devid Striesow. Er spielt meinem Vater, der zum Schluss schon sehr krank war. In dieser Szene steht er im rauschenden Wind mit seinem älteren Sohn und hat plötzlich so ein ganz anderes Gesicht. Da sind mir wirklich die Tränen gekommen.

Wie sehr waren Sie am Filmprozess beteiligt?
Das Buch ist nun schon zehn Jahre alt. Das heißt, ich habe danach auch schon wieder viel erlebt. Am Drehbuch, am Casting und all den Entscheidungen wollte ich mich daher nicht mehr beteiligen. Dieser Teil meines Lebens liegt nun mal hinter mir. Insofern bin ich jetzt in einer erwartungsvollen Haltung, was eine große Freiheit für mich bedeutet. Der Film steht für sich allein.

Wie lange haben Sie damit gerungen, wem Sie die Filmrechte geben könnten?
Dafür habe ich mir viel Zeit genommen. Schließlich entschied ich mich für die Produktionsfirma Komplizen Film, die für mich eine gute Schnittstelle zwischen Arthaus- und Publikumsfilm darstellt. Ich wollte weder so eine volle Mainstream-Bombe haben, noch irgendwas Verwackeltes, was kein Mensch schauen will .

Eine behütete Kindheit in skurriler Umgebung: Josse Meyerhoff (vorne links, Arsseni Bultmann) mit seinen Brüdern und Eltern (Devid Striesow und Paula Tonke).
Eine behütete Kindheit in skurriler Umgebung: Josse Meyerhoff (vorne links, Arsseni Bultmann) mit seinen Brüdern und Eltern (Devid Striesow und Paula Tonke). © Warner

"Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war" gehört ja zu einer Buchreihe unter dem Titel "Alle Toten fliegen hoch". Eignete sich dieser Teil am besten für eine Verfilmung?
Genau! Es gibt aber bereits Ideen, weiterzumachen. Das würde ich mir natürlich sehr wünschen.

Im Film werden Sie von drei Jungs verschiedenen Alters gespielt. In welchem dieser Jungs haben Sie sich am ehesten wiedererkannt?
Das ist schwer, denn die Kinder sind gar nicht dafür da, dass ich mich in ihnen wiedersehe, sondern sie sind dafür da, dass sie innerhalb des Films funktionieren, um die Geschichte voranzutreiben. Ich selbst hatte ja blonde Lockenhaare und dachte, dann müssen die Darsteller eine Perücke aufsetzen. Das ist aber viel zu theatralisch gedacht. Beim Film muss man da anders herangehen, um Authentizität zu schaffen. Insofern fühle ich mich allen dreien nah, wobei der mittlere natürlich die längste Strecke trägt. Weil man mit Arsseni Bultmann als 14-jähriger Joachim die meiste Zeit verbringt, habe ich sein Spiel als sehr offen empfunden und ihm gern zugeschaut.

"Ich wollte immer gern schreiben, hatte aber Bedenken wegen meiner hohen Ansprüche"

Was ist für Sie überhaupt die Antriebsfeder, Geschichten aus Ihrem Leben literarisch zu verarbeiten?
Erst mit Anfang 40 fing ich an zu schreiben. Da hatte ich schon 20 Jahre Theater gespielt und war etwas müde davon. Ich wollte immer gern schreiben, hatte aber Bedenken wegen meiner hohen Ansprüche. Es hat also lange gebraucht. Dann war da noch mein Wunsch, mit den Verlusten, die in meinen Romanen immer das Zentrum bilden, nochmals anders umzugehen.

Wie meinen Sie das?
In meinem Leben merkte ich einfach eine Schieflage. Letztlich habe ich die tragischen Geschichten mit meinem Bruder und meinem Vater gar nicht verstanden, sondern sie ins Leben integriert. Wie man es eben so macht, damit es weitergehen kann. Als ich mich beim Schreiben schließlich getraut habe, das mit Komik zu paaren, konnte ich mich auch dem Kummer und der Trauer stellen.

Wie skurril kommt Ihnen Ihre "besondere" Kindheit aus heutiger Sicht vor?
Für mich hatte das eine große Normalität, sonst wäre das wahrscheinlich auch gar nicht so erzählenswert. Aber es hat auch mit der Betrachtungsweise zu tun. Denn erstmal ist eine Psychiatrie natürlich kein skurriler Ort. Andererseits findet man Skurrilitäten auch in einer Tischlerei oder in einer Redaktion, wenn man dementsprechend hinschaut. Vor einigen Jahren hatte ich einen Schlaganfall und war im Krankenhaus. Das war auch wieder so eine eigene Welt, in der ich vor allem die Skurrilitäten wahrgenommen habe.

Wie einschneidend war das für Sie?
Damit hatte sich nochmals alles gedreht. Es war eine Katastrophe, denn in meinem Beruf als Schauspieler ist die Verfügbarkeit von Sprache und Körperlichkeit das A und O. Eine Woche lang war nicht klar, ob ich meinen Beruf als Schauspieler je wieder ausüben könnte. Das war eine existentielle Erfahrung, und es blieb auch bei mir nicht aus, dass ich nach dem Schlaganfall in eine sogenannte ‚Poststroke Depression' geraten bin. Letztlich brauchte ich zwei Jahre, um wieder das richtige Zutrauen zu mir zu finden.

"Das Ausformulieren von tagtäglichen Dingen würde mich völlig ermüden"

Neben der Schauspielerei können Sie das Zutrauen sicherlich auch daraus ziehen, ein Beststellerautor zu sein…
Wissen Sie, ich habe mich nie an den Erfolg meiner Bücher gewöhnt, vielleicht weil das erst so spät in meinem Leben passiert ist. Es war also nie selbstverständlich, sondern immer etwas Besonderes. Gerade nach Corona war es sehr bewegend für mich, wieder Lesungen zu geben, zu denen wieder viele Leute gekommen sind. Das wird jetzt auch beim Film interessant. Gehen da nur Leute rein, die das Buch kennen, oder auch die, die es nicht kennen? Wie werden sie das erleben? Ich weiß aber gar nicht, ob man das überhaupt in Erfahrung bringen kann.

Haben Sie eigentlich jemals Tagebuch geschrieben, um Erinnerungen festzuhalten?
Nie! Ich mache mir Notizen, das hat vielleicht etwas Tagebuchartiges. Das Ausformulieren von tagtäglichen Dingen würde mich aber völlig ermüden. Das ist überhaupt nicht meine Art. Ich schreibe eher das auf, was im Erinnern oder im Phantasieren in mir präsent ist und woraus ich Lust und Freude ziehe, es aufschreiben zu wollen, ja, es aufschreiben zu müssen.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.