Jenseits der Leinwand

Eine Netflix-Doku über Bob Marley beantwortet viele Fragen, die der aktuelle Kinofilm über die Reggae-Legendeleider offen lässt
Dominik Petzold |
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Kingsley Ben-Adir als Bob Marley in einer Szene des Films "Bob Marley: One Love".
picture alliance/dpa/Paramount Pictures Germany Kingsley Ben-Adir als Bob Marley in einer Szene des Films "Bob Marley: One Love".

Seit einer Woche läuft das Biopic "Bob Marley: One Love" erfolgreich im Kino. Die Produktion, an der die Familie des Reggae-Giganten (1945-1981) beteiligt ist, konzentriert sich auf eineinhalb Jahre in seinem Leben. Diese bieten schließlich die perfekte Klammer für ein Drama: Ende 1976 plante Marley ein Friedenskonzert im politisch zerrissenen, von Gewalt geplagten Jamaika.

Zwei Tage vor dem Open Air wurde er in seinem Haus überfallen und angeschossen, die Hintergründe wurden nie geklärt. Marley trat dennoch auf, heldenhaft und in Lebensgefahr, und flog erst am folgenden Tag ins sichere Londoner Exil. In den nächsten Jahren wurde er zum Weltstar. Und im April 1978 kehrte er für ein weiteres Konzert in seine Heimat zurück -- und brachte auf der Bühne die verfeindeten politischen Anführer zusammen.

Ein Poster seiner selbst

Aus dieser spannenden Geschichte, die die Realität schrieb, machen die Drehbuchautoren und Regisseur Reinaldo Marcus Green ("King Richard") verblüffend wenig. Der von Kingsley Ben-Adir gespielte Bob Marley wirkt wie eine Jugendzimmer-Poster-Version seiner selbst, ist über die Maßen lässig und schwebt über den Dingen, und vom Jamaika der Siebziger erfährt der Zuschauer kaum etwas.

Dass die komplexe politische Lage nur vage dargestellt wird, mag in einem potenziellen Blockbuster verständlich sein. Aber ärgerlich wird es ab dem absurd dargestellten Attentat auf den Superstar: Der Täter steht viele Sekunden lang vor Bob Marley, spannt seinen Revolver und starrt sein Opfer an. Und Marley? Der ist im Film zu cool für Überlebensinstinkte, bleibt einfach stehen und lächelt, halb verblüfft, halb verächtlich.

Die Schüsse überlebt er dennoch, und danach wird vieles im Schnelldurchlauf angerissen: die Londoner Aufnahmen zum Erfolgsalbum "Exodus"; der Triumphzug durch die europäischen Konzerthallen; die Beziehung zu Rita, die ihrem Ehemann die Ohren langzieht, als er Anflüge von Starallüren zeigt; sein Rastafari-Glauben; die Hautkrebsdiagnose, die er mit fatalen Folgen ignoriert; das Zerwürfnis mit seinem Manager, der bei einem schicken Empfang vor Marleys Augen - schultheaterartig - von einem dubiosen Geschäftspartner einen Geldumschlag entgegennimmt.

Wie ein Messias

Und irgendwann - einfach so und nicht konkret motiviert - kehrt Bob Marley für das triumphale Konzert nach Jamaika zurück. Vor dem historischen Auftritt aber schaut sein Attentäter noch mal in einer erfundenen Szene in seinem Haus vorbei: Marley verzeiht dem reuigen Sünder natürlich sofort, ganz nach Messias-Art, und reicht ihm die Hand, ohne weitere Fragen zu stellen.

Der Zuschauer hingegen hat nach diesem missratenen Film durchaus Fragen. Da trifft es sich gut, dass Netflix die Dokumentation "Who Shot The Sheriff" im Programm hat, die die gleiche Geschichte beleuchtet. Hier erfährt man in weniger als einer Stunde einiges über die verworrenen Zustände im Jamaika der Siebziger, über die jeweiligen Verwicklungen der verfeindeten Parteien mit Gangs, die das Land in bürgerkriegsartige Zustände stürzten.

Wer schoss auf Bob Marley?

Auf der einen Seite stand die sozialistische People's National Party mit Premierminister Michael Manley, auf der anderen die konservative Jamaica Labour Party unter Edward Seaga, die mutmaßlich vom CIA unterstützt wurde, wie die Doku suggeriert. Die US-Amerikaner wollten im Kalten Krieg verhindern, dass Jamaika ein zweites Kuba wird; der sozialistische Premierminister Manley pflegte ein gutes Verhältnis zu Fidel Castro.

Und mittendrin und über allem schwebte Bob Marley, der sich als Rastafari vor keinen Partei-Karren spannen ließ, als Superstar des Landes aber ein wichtiger politischer Faktor war. Und so rief Premier Manley kurz nach der Ankündigung des für Dezember 1976 geplanten "Smile Jamaica Concerts" Parlamentswahlen aus: So sollte das Konzert der gefühlt linken Rastafaris wie ein Wahlkampf-Event gegen die konservativen Gegner wirken.

Ein Finale, das es in der Realität nicht gab

Wer aber schoss zwei Tage davor auf Marley? Die Doku dekliniert spannend die Motive durch, die beide politische Seiten (und das CIA) gehabt haben könnten, und legt auch eine Lösung nahe, für die es allerdings keine Beweise gibt. Eindeutig ist dagegen, dass die Gang-Gewalt während Marleys Exil-Jahren weiter eskalierte, die Verelendung zunahm, der Staat fast zerfiel. Bis 1978 doch kurzzeitig Frieden möglich schien und Bob Marley zum "One Love Peace Concert" überredet wurde.

Die Gründe für die zwischenzeitliche Entspannung zwischen den Parteien und den mit ihnen verbandelten Gangs bleiben in der Doku etwas unterbelichtet. Klar macht sie allerdings: An der Gewalt und der Zerrissenheit in Jamaika änderte sich rein gar nichts, nachdem sich der Reggae-Star, Premierminister Manley und Oppositionsführer Seaga auf der Bühne 1978 die Hände gereicht hatten. Der Spielfilm "Bob Marley: One Love" hingegen endet mit dieser symbolträchtigen Szene: einem Hollywood-Finale, das es in der Realität nicht gab.

Der Spielfilm "Bob Marley: One Love" läuft derzeit im Museum-Lichtspiele, Cinema (beide OV), City-Atelier, Monopol (beide OmU), Cinemaxx (deutsch/OV), Arri, Leopold, Mathäser (alle deutsch/OmU), Cadillac & Veranda, Sendlinger Tor und Gloria. Die Doku "Who Shot The Sheriff" wird auf Netflix gezeigt. In der Arte Mediathek ist ein Rockpalast-Konzert von Bob Marley & The Wailers von 1980 in der Dortmunder Westfalenhalle zu sehen.

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