Jeder schweigt für sich allein

Der iranische Regisseur Asghar Farhadi knüpft mit dem intelligenten und spannenden Beziehungsdrama "The Salesman" an seinen Erfolg "Nader und Simin" an.
von  Andreas Fischer
In "The Salesman" dekonstruiert der iranische Regisseur Asghar Farhadi mit leisen Tönen und nervenzerfetzender Spannung die Beziehung eines Paares, dem etwas Unaussprechliches widerfahren ist.
In "The Salesman" dekonstruiert der iranische Regisseur Asghar Farhadi mit leisen Tönen und nervenzerfetzender Spannung die Beziehung eines Paares, dem etwas Unaussprechliches widerfahren ist. © 2016 PROKINO Filmverleih GmbH
Die Risse an der Wand ihrer Wohnung sind Vorboten dessen, was auf den Teheraner Lehrer Emad (Shahab Hosseini) und seine Frau Rana (Taraneh Alidoosti) zukommen wird. In seinem intensiven Drama "The Salesman" lässt der iranische Regisseur
Asghar Farhadi ("Nader und Simin") das Gebäude zwar stehen, die Beziehung von Emad und Rana aber droht zu kollabieren. Farhadi schickt das Paar in eine Hölle aus Schuld, Sühne, verletztem Stolz und befremdlichen Eigenheiten der iranischen Gesellschaft. Eine Laieninszenierung von Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden" ist der Rahmen für "The Salesman": Hier wie da kollidieren eine an der Oberfläche heile Scheinwelt mit der Wirklichkeit, hier wie da brechen Konflikte auf, die tief in den Figuren schlummerten. Für Rana und Emad geht es nach dem Beinahe-Einsturz ihres Apartmenthauses aber erst einmal in eine Übergangswohnung, die ihnen ein Freund anbietet. Allerdings hat die Vormieterin
dieser Wohnung nicht nur ihre Möbel und persönlichen Sachen dort gelassen, sondern auch ihre Vergangenheit. Sie pflegte offenbar Umgang mit mehreren Männern. Dass sie eine Prostituierte war, wird explizit nicht ausgesprochen. Eines Abends findet Emad seine Frau blutend und schwer traumatisiert im Badezimmer. Der Zuschauer geht unwillkürlich von einer Vergewaltigung Ranas aus. Aufgeklärt wird das aber nie, genauso wenig darüber geredet. In kunstvoller Beiläufigkeit geht Farhadi mit einer Gesellschaft ins Gericht, die sich in moralischen Fragen harte Urteile erlaubt, aber sprachlos bleibt. Anzeige zu erstatten und die Polizei
ermitteln zu lassen, kommt jedenfalls nicht in Frage. Vergewaltigte Frauen sind nicht nur Opfer eines Gewaltverbrechens, sondern auch der Schande, die ihnen aufgezwungen wird. Emad redet mit Rana nicht darüber, was passiert ist, sondern nur darüber, wie er den Täter
finden und bestrafen will. Aus dem netten, kumpelhaften Lehrer wird ein düsterer Rächer, der sich weniger um das Befinden seiner Frau kümmert, sondern vielmehr seine persönliche Genugtuung sucht. Die Schande ist einfach unerträglich, die Distanz zwischen den Liebenden wird immer größer. Asghar Farhadi schafft es einmal mehr, in einem Beziehungsdrama
eine unerträgliche Spannung zu erzeugen. Die ergibt sich ganz allein aus den inneren Konflikten und aus den komplexen Entwicklungen, die seine Figuren durchmachen. Farhadi verschachtelt die Handlung kunstvoll und beobachtet seine Figuren in einer anspruchsvollen Inszenierung aus verschiedenen Perspektiven: Die Kamera findet durch Türen und Fenster immer wieder neue Blickwinkel auf innere Paarangelegenheiten und die Welt da draußen. Denn wie Emad und Rana stecken auch Nachbarn und Freunde in einem moralischen Dilemma. Der Täter, den Hobby-Privatdetektiv Emad nach seiner besessenen Suche ausfindig macht, entpuppt sich schließlich als ziemlich armselige Kreatur. Von Männlichkeit ist bei dem Mann jedenfalls keine Spur mehr vorhanden. Emad, der längst blind ist in seiner inneren Dunkelheit, kennt trotzdem keine Gnade in einem dramatischen Finale, in einem mit Ruhe und Bedacht geführten letzten Paukenschlag, in dem, wie bei Arthur Miller, alle Lebenslügen implodieren.
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