Ironisch mitfeiern

Botox-Partys, Disco und Dinner: Paolo Sorrentino zeigt das dekadente „Dolce Vita”. Aber mit seinem Film „La grande Bellezza” feiert er genau die schöne Oberflächlichkeit, die er entlarven will
Adrian Prechtel |
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Skandal in Rom, Triumph in Cannes: Das war 1960 Federico Fellinis „La Dolce Vita” – ein Film, der große Lebensfragen wunderbar elegant und weise ansprach: Karriere, Partys oder Intellektualität und Berufung? Treue, Ehe oder ein freies Liebesleben? Religion und Familie oder Spiritualität und Freunde? Marcello Mastroianni irrte, liebte, forschte durch dieses Leben und die Nächte.

Paolo Sorrentino versichert in Interviews, seinen Film nicht am Fellini-Meisterwerk messen zu wollen. Aber deutlich ist seine Hauptfigur Jep Gambardella dieser Marcello, nur jetzt 35 Jahre älter.
Gambardella (Tonio Servillo) war Journalist und hatte als Schriftsteller einen großen Erfolg. Danach ist er in Eitelkeit und Partyleben erschlafft. Aber wegen seines geistreichen Zynismus’ ist er ein gern gesehener Gast der Oberen Zehntausend. Jetzt – kurz vor seinem 65. Geburtstag – ist Gambardella in einer Sinnkrise.

Sorrentino lässt „La grande Bellezza” auf drei Ebenen spielen: Rom spielt selbst ein e große Rolle als traumhaft schöne, historische Kulisse: mit barock-triumphalen Wasserspielen, hitze- und überwältigungs-ohnmächtigen asiatischen Touristen, nächtlich geheimnisvoll leuchtenden römischen Kolossalbauten, Audienzen in Parks riesiger Villen. Das ist auch Wahrheit, aber vor allem Postkarte. Nie werden auf Rom Blicke geworfen: Zweifel, Verkehrschaos, Bettler, Hässlichkeit und Hitze gibt es nicht.

Denn – und das ist die Haupt-Ebene – die Society wird in ihrem süßen Leben gezeigt: exklusiv auf Dinnerfeiern, im Jugendwahn mit Botox-Partys und orgiastisch zappelnd bei Disco-Polonaisen auf Sommernachts-Traum-Dachterrassen wie in einer Parfum-Werbung. So liegt über dieser von Episode zu Episode tänzelnden „Grande Bellezza” selbst ein schwerer Duft von Dekadenz. Wie aber kann man einer Gesellschaft Pseudointellektualität, Langeweile und Übersättigung vorwerfen, wenn man sie selbst mitfeiert?

Davon könnte sich als Metaebene die Geschichte Gambardellas lösen. Immerhin empfindet und entlarvt er hinter den schönen Fassaden den Abgrund an Leere und Einsamkeit. Nur ist auch er dem „Dolce Vita” müde erlegen und der Film wie er selbstverliebt und Opfer des Phänomens geworden, das er beschreibt. Selbst die Ironie gegenüber moderner Kunst (mit einer masochistischen Abramovic-Performance-Persiflage) oder am katholischen Heiligenkult ist seicht. Vieles (wie Orangen pflückende Nonnen oder frech lächelnde Klosterschülerinnen) ist purer Kitsch.

Und immer, wenn man an der Schönheit der Bilder nur ein wenig kratzt, merkt man: dieser Film macht nur „Bella Figura” und das ist zu wenig.

Kino: City, Münchner Freiheit, Studio Isabella, Monopol (auch OmU), Theatiner (OmU)
R: Paolo Sorrentino (I, 142 Min.)

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