Iris Berben zurück auf der Kino-Leinwand: "Sprache ist meine Leidenschaft"

Der Film ist witzig aktuell: In einer Nacht, in der Unwetter den Flug- und Bahnverkehr in Deutschland lahmlegen, hängen einige in München fest, die aber nach Hamburg wollen oder müssen. Drei Fahrgäste mit Taxi-Gutscheinen und ein blinder Passagier kapern das Taxi des brummigen Fahrers (Joachim Król). Auf engstem Raum eine Nacht zusammen verbringen? Da gibt es wenig Spielraum für Distanz, und bald zeigt sich: Wenn Menschen nur miteinander reden, kommt heraus, dass das Menschsein sie mehr verbindet als ihre verschiedenen Lebensweisen, Kulturen und Ideologien vermuten lassen.
AZ: Frau Berben, was hat Sie am meisten gereizt bei diesem Film "791 km" mitzumachen?
IRIS BERBEN: Diese fünf so unterschiedlichen Menschen, die sich mit sich selbst und den anderen auseinandersetzen müssen. Das alles, ohne die üblichen Klischees zu bedienen. Da ist viel Platz, damit sich jede Figur langsam herausschält und das Innerste aus den anderen herausgekitzelt wird. Es war eine große Freude.

Sie spielen Marianne, eine Mischung aus Hippie und Alt-68erin.
Als ich die Drehbuchfassung las, kamen mir manche Dinge durchaus bekannt vor! Und ich glaube schon, dass dabei auch ein bisschen auf meine Biografie geblinzelt wurde.
"Die Frauenbewegung hat viel erreicht, aber leider auch einen Kollateralschaden hinterlassen", sagt Marianne im Film. Wie stehen Sie zu diesem Satz? Sind Sie eine Feministin?
Der Begriff Feminismus hat im Laufe der Zeit ja einige Veränderungen erfahren. Wenn man an die Feministinnen in den 60er Jahren zurückdenkt, hat man immer ein bestimmtes Bild vor Augen – auch was die Radikalität betrifft. Ich würde mich als Feministin bezeichnen, seit ich wahrgenommen habe, wie groß die Benachteiligungen sind. Da bin ich schon in den 60er Jahren auf die Straße gegangen. Immer noch bekommen Frauen für die gleiche Arbeit weniger Lohn. Das führt zu einer Schwächung der sozialen Stellung von Frauen in unserer Gesellschaft. Aber es ist noch mehr dazugekommen wie die MeToo-Debatte. Da wurden ganz andere Dinge in Frage gestellt. Diese Dinge haben wir damals mit einer gewissen Rotzigkeit nicht zugelassen. Die neue Generation von Frauen hat da aber nochmal ein anderes Selbstverständnis. Aber die Veränderungen können wir nur gemeinsam mit den Männern erreichen und nicht gegeneinander.
Iris Berben spielt in "791 km": "Diese Diskussionen müssen auf jeden Fall stattfinden"
Im Film werden viele Zeitgeist-Themen angesprochen, auch die sogenannte Cancel Culture.
Ich stehe auf dem Standpunkt: Wir sind erwachsene Menschen! Gebt uns die Möglichkeit, über Veränderungen, die auch in der Sprache und im Umgang mit Menschen im Gange sind, selbst entscheiden zu können. Und auch darüber, wie wir das angehen. Ich halte es für kontraproduktiv, Kinder in eine Welt zu entlassen, in der man ihnen die Korrekturen schon mitgegeben hat. Ohne zu sagen: "Schau mal, so haben wir früher etwas benannt. Jetzt erkläre ich dir, warum man das heute nicht mehr tut." Ich finde diese Auseinandersetzung wichtig. Und natürlich ist es auch sehr wichtig, dass wir eine Gesellschaft haben wollen, die niemanden und nichts ausgrenzt. Aber einen Schalter umzulegen oder Dinge einfach nicht mehr sichtbar zu machen, halte ich für falsch. Denn damit sind so wichtige Themen wie Ausgrenzung, Antisemitismus, Selbstbestimmung, Fremdenfeindlichkeit plötzlich scheinbar erledigt. Doch diese Diskussionen müssen auf jeden Fall stattfinden – und nicht das Canceln!

Sie haben in diesem Jahr durch die TV-Doku-Serie "Schickeria – als München noch sexy war" geführt. Damals haben viele den Sex & Drugs & Rock'n'Roll-Lebensstil praktiziert.
Das sollte man heute weder verklären, noch sollte man sich dafür entschuldigen. Das kann man doch auf moderne Art weiterleben. Ich versuche es nach wie vor! Und wir könnten doch heute auch klar sagen: "Alkohol ist auch eine Droge." Wir sind erwachsen genug und sollten uns auch zu unseren Fehlern bekennen und darüber reden, warum heute vieles anders ist als damals.
Iris Berben sorgt sich: "Bildung wird hierzulande unterschätzt"
In Hollywood haben Künstler lange für eine bessere Entlohnung gestreikt und auch gegen den Einsatz der sogenannten Künstlichen Intelligenz.
Zunächst ist die Künstliche Intelligenz eine ungeheure Entwicklung und Erleichterung, denken wir nur mal an den Bereich Medizin. In Bezug auf den Schauspielerberuf ist die KI ein komplexes Thema. Schon jetzt merken wir ja, dass Synchronarbeit fast gar nicht mehr nötig ist, weil Stimmen von der KI gesampelt werden können. Dadurch fällt nach und nach eine ganze Berufsgruppe weg. Und in Zukunft, fürchte ich, werden wir da keine Möglichkeiten mehr haben, wirklich einzugreifen. Es ist also Zeit, dass wir eine verbindliche Rechtslage schaffen, die kreative Menschen und ihre Arbeit schützt. Es muss absolut sichergestellt werden, dass du das Recht an dir selbst behältst.

… sonst geistern wir in absehbarer Zukunft alle als Avatare herum.
Uns macht aus, dass wir sind, wie wir sind. Was wir zulassen – und was nicht? Unsere Erlebnisse, Erfahrungen, Verletzungen, unsere Triumphe, das macht uns so individuell. Und diese Individualität, die gibt man nicht einfach her. Man kann die Entwicklung nicht aufhalten, aber man kann daran mitwirken - und das sollten wir verstärkt einfordern. Da ist es wesentlich, wie verantwortungsbewusst jeder von uns künftig mit der KI umgeht. Allerdings bin ich da pessimistisch. Da ist doch meist Bequemlichkeit, Unwissenheit und Unmündigkeit an der Tagesordnung.
Da sind wir beim Thema Bildung.
Da muss viel mehr investiert werden. Bildung wird hierzulande unterschätzt. Dadurch haben wir immer mehr mit Menschen zu tun, die sehr zufrieden sind in der kleinen Blase, in der sie selber leben. Ihre Welt ist das Handy. Auch ihre Welt nach draußen. Handy, Internet, KI sind ja nicht per se schlecht, es ist aber wichtig, wie wir damit umgehen. Was wir zulassen. Ein großes Problem scheint auch zu sein, dass wir in Deutschland immer hinterherhinken. Wir waren doch einmal das Land, das allseits bewundert wurde, wegen unserer innovativen Fantasie und für die Kraft, daraus etwas zu machen. Wir haben uns aber schon viel zu lange bequem zurückgelehnt. Dadurch haben wir den Anschluss verloren.
Der Medienwissenschaftler Neil Postman hat in den 80er Jahren sein Buch "Wir amüsieren uns zu Tode" auf den Markt gebracht. Das war visionär. Wenn man sich die – auch öffentlich subventionierte - Verblödung im TV, die infantilen Spielshows, die tumben Nachmittags-Serien oder Wachkoma-Krimis an-sieht, kann einen schon das Grausen packen. Wollen Sie dazu etwas sagen?
Dazu nur kurz das: Noch haben wir das Publikum, das all das mitmacht. Aber es wächst eine Generation heran, für die ist das alles kein Thema mehr.
Das Filmemachen nimmt für Iris Berben noch immer den größten Teil des Lebens ein
Sie waren Präsidentin der Deutschen Filmakademie und haben dadurch viele Einblicke hinter die Kulissen des Filmbusiness bekommen. Was schätzen Sie: Wie viel Prozent der Schauspieler können hierzulande von ihrem Beruf leben?
Extrem wenige. Das liegt natürlich auch daran, dass wir sehr viele Schauspielerinnen und Schauspieler haben. Da gibt es ja keine wirkliche Grenze: Wer ist ein Schauspieler, und wer ist keiner? Aber auch wenn man den Beruf ernst nimmt – mit all der Leidenschaft, der harten Arbeit und Disziplin und auch dem Respekt, Filme zu machen -, gibt es trotzdem sicher viele Kolleginnen und Kollegen, die sehr zu strampeln haben. Dazu kommt noch, dass viele Produktionsfirmen mittlerweile kurz vor dem Aus stehen. Unsere Branche ist gerade sehr dünnhäutig und steht wackelig auf den Beinen. Da bleiben im Moment viele auf der Strecke.
Haben Sie schon mal daran gedacht, eine eigene Produktionsfirma zu gründen? Da könnten Sie doch Ihre eigenen Stoffe entwickeln.
Nein, aber ich habe doch einen Sohn, der macht das ganz gut!
Sie sind künstlerisch auf vielen Gebieten unterwegs.
Den größten Teil meines Lebens nimmt sicher das Filmemachen ein. Das ist schön, und gleichzeitig ist es auch ein großer Luxus, dass ich einen Beruf habe, der mich erfüllt. Viele Menschen müssen ja ihren Lebensunterhalt mit etwas finanzieren, das ihnen eigentlich keine Freude macht, sondern eher pragmatisch ist. Da bin ich also in einer exponierten und schönen Situation. Ich halte auch viele Lesungen, ich spreche Hörbücher ein und beschäftige mich gerne und intensiv mit Literatur. Wenn ich eine Leidenschaft habe, dann ist es die Sprache. Sprache ist etwas ganz Besonderes. Etwas ganz Bereicherndes. Mich mit Sprache zu beschäftigen ist das, was ich am häufigsten mache.
Wie würden Sie sich denn selbst mit vier Worten beschreiben?
Ungeduldig, neugierig, großzügig, witzig.
Zwei Tage vor Kinostart kommende Woche hat "791 km" am Dienstag, 12. 12., 20 Uhr, Premiere in München mit dem gesamten Cast im Mathäser. Wir verlosen 2 x 2 Premierenkarten. Wer gewinnen will, schreibt bis einschließlich Sonntag eine E-Mail an kultur@abendzeitung.de, "791 km"