Intimer Spiegel einer Gesellschaft

"Caracas, eine Liebe" des Venezolaners Lorenzo Vigas ist eine pschologisch spannende Herausforderung
Dass ein ganz klassisch erzählter, realistischer Film den Goldenen Löwen gewinnen würde, hatte vergangenen September in Venedig alle überrascht. Jetzt hat das Filmfest „Caracas, eine Liebe“ von Lorenzo Vigas eingeladen. Es ist eine irritierende Geschichte, die lange nachwirkt, weil sie psychologisch logisch und doch rätselhaft ist – und damit menschlich wahr und spannend: Ein leicht angegrauter, unauffälliger Zahntechniker bezahlt streunende junge Männer aus Armenvierteln, dass sie mit ihm in seine Wohnung kommen. Mit einem entwickelt sich eine Art Vater-Sohn- und gleichzeitig Liebesbeziehung. Aber am Ende steht ein gegenseitiger Vertrausensbruch und Verrat, der nur scheinbar aus dem Blauen heraus kommt. Es ist eine radikale, aber eben schlüssige Konsequenz einer unlebbaren Beziehung – vor allem in einer machistischen südamerikanischen Gesellschaft, die auch noch von extremen sozialen Gegensätzen geprägt ist. Und es wird die brisante Frage aufgeworfen, ob man Menschen, die kriminell und psychisch verwahrlost aufgewachsen sind, bürgerlich integrieren kann. Adrian Prechtel
heute, 27.6., 17 Uhr, Müchn. Freiheit