Kritik

"In einem Land, das es nicht mehr gibt": Die jungen Wilden

Ein wunderbarer Spielfim über den Freiraum Mode in der DDR: "In einem Land, das es nicht mehr gibt".
von  Margret Köhler
Suzie (Marlene Burow) wird von Rudi (Sabin Tambrea) in eine völlig neue Welt mitgenommen.
Suzie (Marlene Burow) wird von Rudi (Sabin Tambrea) in eine völlig neue Welt mitgenommen. © Peter Hartwig / Ziegler Film

Es war nicht alles grau in der DDR, es gab nicht nur die Enge des Sozialismus, nicht nur Täter und Opfer, nicht nur Schlangen vor den Konsum-Läden, wie so manche Filme im Rückblick behaupten. Es gab auch Schönheit, Eleganz, Subkultur: Nischen, in denen bunte Vögel Aus- und Aufbruch probten, Kreative sich ein Stück Unabhängigkeit eroberten.

Regisseurin Aelrun Goette will die Zuschauer einladen, "die untergegangene DDR auch mal mit anderen Augen zu sehen" und die Deutungs-Schablonen, die sich über den Osten gelegt haben, hinterfragen. Dabei geht soie wunderbar beswingt vor und führt in die im Westen unbekannte Welt der Mode, in den Mikrokosmos der DDR-Frauenzeitschrift "Sibylle", der "Vogue" des Ostens.

Das Foto als Türöffner

Im Frühjahr 1989 wird bei einer Polizeikontrolle die 18-jährige Suzie mit George Orwells "1984" in der Tasche erwischt, einem verbotenen Buch. Abitur und Studium kann sie knicken. Statt dessen muss sie in einem Kabelwerk zwischen Turbinen und Stanzgeräten zähneknirschend ihren Beitrag zur sozialistischen Gesellschaft leisten. Und hat noch Glück, sie hätte auch im Knast landen können.

Dann geschieht das Wunder. Unbemerkt wird sie morgens in der Straßenbahn fotografiert, das Foto öffnet ihr die Tür zur Modelkarriere. Aber auch die hat Tücken, wie sie bald merkt - wie den Zickenkrieg zwischen eifersüchtigen Konkurrentinnen. Die Regisseurin wurde selbst in den 80er Jahren in Ostberlin auf der Straße als "Mannequin" entdeckt und modelte für den VHB Exquisit, der volkseigenen Luxusmarke.

Ein Hauch von Nonkonformismus

Auf ihren Erfahrungen basiert der von wahren Begebenheiten inspirierte und von einem starken Ensemble getragener Film: Da ist die fröhliche Brigadeleiterin Gisela (Jördis Triebel), die schützend die Hand über "die Kleene" hält, wenn die anderen stänkern. Der rebellische Fotograf Coyote (David Schütter), der seine außergewöhnlichen Fotos nicht veröffentlichen darf und in den sich Suzie verliebt. Der schwule, extravagante Rudi (Sabin Tambrea, wasserstoffperoxyd wavig blondiert), der bei einer offiziellen Modenschau im Brautkleid den spießigen SED-Funktionär aus der Fassung bringt und den die Stasi auf dem Kieker hat. Und die "Sibylle"-Chefredakteurin (Claudia Michelsen), die ihre Leutchen mit dem Spruch "Das ist einfallslos und bieder. Wir sind hier nicht bei der Brigitte" auf Trab bringt.

Für einen kurzen Moment spürt die junge Frau den "Wind of change" und einen Hauch von Nonkonformismus, wird der Traum von Freiheit und vom aufrechten Gang Wirklichkeit, die stille Sehnsucht erfüllt. Aus Duschvorhängen, Folien aus der Charité- Pathologie, Gasmasken und viel Improvisation stellen Rudi und seine jungen Wilden eine schrille Show zusammen, die mit den Konventionen bricht.

Nach einem unvergesslichen Sommer fällt im Herbst die Mauer. Bald gibt es das Land, in dem die Geschichte spielt nicht mehr. Was bleibt, sind die Erinnerungen. Newcomerin Marlene Burow lernt als Suzie, dass es nicht nur auf High Heels und ein schönes Gesicht ankommt, sondern auch auf die innere Haltung.

Kino: City, Mathäser, Monopol, R: Aelrun Goette (D, 95 Min.)

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