In Cannes kommt’s raus: Der US-Trend geht zum Selfie

Egal, ob Satire oder Psycho-Drama – in Amerika regiert die Nabelschau
von  Adrian Prechtel

Selbst Sylvester Stallone ist sich nicht zu blöd, es beim Fotocall für „Expendables 3“ zu machen: ein Selfie. An der Côte d’Azur hat sich das Wetter jetzt eingetrübt, in den Kinos wird die US-Schiene gefahren: Tommy Lee Jones’ Western wurde abgelöst von David Cronenbergs Hollywoodsatire: „Maps to the Stars“. Und gerade war Weltpremiere von Bennett Millers „Foxcatcher“ über einen Ostküsten-Patrizier-Milliardär.

Diesen amerikanischen Wettbewerbs-Lauf kann man auch als drei Selfies, also als psychologische Selbstporträts Amerikas nehmen, aber ohne Dauergrinsen. Cronenbergs L.A.-Film ist dabei der schonungsloseste mit Julianne Moore als verzweifelter Schauspielerin mit Kindheitstrauma, ständig beim Starpsychologen (John Cusack), wie alle Pillen schluckend und panisch, keine Rollen mehr zu bekommen. Ihre junge, neue Assistentin (Mia Wasikowska) ist die Psycho-Schlange, die am Ende einigen den Tod bringt. Der Film kann sich nicht ganz entscheiden, ob er Psychoanalyse einer hysterischen, moralisch entkernten, metaphysisch obdachlosen Gesellschaft im dekadenten Endstadium von Falschheit und Oberflächlichkeit sein will oder griechisches Familienrachedrama.

Psychisch krank, psychisch gesund

Tommy Lee Jones hatte mit seinem Western, der sich zurück Richtung Ostküste bewegte, am Ende die guten Wurzeln gezeigt: Meryl Streep als Pastorenfrau, die drei im barbarischen Westen irre gewordene Frauen aufnimmt, heimgebracht vom „Homesman“ Tommy Lee Jones.

Und Bennett Miller, von dem schon die Einfühlung „Capote“ stammt, hat in „Foxcatcher“ die superreiche Ostküsten-Tradition genauer angeschaut und ist hier – im europäisch geprägten Gründerland – psychischen Deformationen nachgegangen: Steve Carell spielt einen Magnaten aus alter Familie, der in seinem Reichtum völlig vereinsamt ist, glaubt, sich Männerfreundschaft kaufen oder durch psychologische Macht erringen zu können: eine tragische Figur, die zwei Ringertalente (Channing Tatum und Mark Ruffalo) versucht an sich zu binden. Glamour oder Reichtum verdecken und verstärken nur Verzweiflung und psychische Zerrüttung. Was bleibt Amerika, wenn auch noch der Glaube schwindet? Wenn man diesen drei Kunstwerk-US-Selfies zuschaut: nichts, außer Wohlstand und Oberfläche.

Jetzt richtet Cannes seinen Blick wieder nach Europa: Die Dardenne-Brüder haben mit Marion Cotillard gedreht. Sie spielt eine Frau, die um ihren Job kämpft, aber psychisch gesund ist! [

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