Im Rudel von der Meute verfolgt
Ein ungewöhnlicher Krimi, ein intelligenter Spiegel für uns und ein überragender Mads Mikkelsen: „Die Jagd“ von Thomas Vinterberg.
MÜNCHEN - Nein, es gibt in diesem Krimi keine Tat und keinen Toten – abgesehen von seinem Hund, der als „Warnschuss“ bei Lucas im Garten liegt. Aber es gibt einen Täter und ein Opfer, das vernichtet werden soll. Und das Irritierende ist: Der Täter sind wir!
Denn diese dänische Gesellschaft ist nicht viel anders als unsere deutsche – nur vielleicht etwas handfester, roher, kumpelhafter, männerbündisch alkoholisierter. Lucas ist hier ein integrativer, sympathischer Kerl, der nach einer Scheidung gerade wieder versucht, das Vertrauen seines 16-jährigen Sohnes zu gewinnen und sich neu zu verlieben – als etwas Erschreckendes und doch so Brutal-Naheliegendes passiert: Lucas, der Erzieher aus dem Kindergarten, gerät in den Verdacht, das Mädchen Klara sexuell belästigt zu haben.
Und es beginnt eine Jagd, die gleichzeitig hysterisch und doch so echt ist und sich aus den niederen Instinkten menschlichen Rudelverhaltens speist. Alles wird zersetzt, auf das wir ja alle unsere Sicherheit bauen: Beruf, Job, Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft. Es ist eine vernichtende Eskalation aus dem Nichts, ein Rufmord, der Lucas fast zur Strecke bringt.
Mads Mikkelsen ist in „Die Jagd“ ergreifend sensibel gegen seinen sonstigen Filmbösewichts-Typ besetzt, aber er ist kein Opfertyp, sondern zupackend, auch wehrhaft, aber prinzipientreu menschlich. Und Regisseur Thomas Vinterberg – ein Regiemeister seit seiner Familiendemontage „Das Fest“ 1998 – gelingt das Meisterwerk eines Krimis, der weit über geniale Spannungselemente hinausgeht. Denn „Die Jagd“ zeigt, wie schnell Zivilisation und ihre ungeschriebenen Regeln zusammenbrechen können, wie schnell es für jeden gefährlich werden kann, wie leicht ganz normale Menschen zu aggressiven, anonymen Steinewerfern werden, wenn sie sich von der Gemeinschaft und dem gesunden Volksempfinden gedeckt fühlen – wenn man plötzlich im Laden nicht mehr bedient wird, wenn Leute vor einem die Straßenseite wechseln, wenn anonyme Drohungen eingehen, nachts das Fenster eingeschmissen wird: Das ist der Albtraum, den man nicht einfach von sich wegschieben kann. Und kann man diesen grausamen Spuk wieder ungeschehen machen, wenn sich herausstellt, dass Kinder und Betrunkene eben doch nicht immer die Wahrheit sagen?
Fast scheint es so. Auch der beste Freund (Thomas Bo Larsen) kommt nachts, am Weihnachtsabend, beim völlig isolierten Lucas als Einziger heimlich nochmal vorbei, die Freundesriege geht wieder zusammen zur Jagd, der Sohn erlebt seine Aufnahme in den Männerkreis – aber es fällt noch ein gezielter Schuss.
Vinterberg ist ein extrem gut ausbalanciertes Meisterwerk gelungen bis ins Detail. Sein packender Realismus leistet Großes: Filmkunst, Spannung, Wahrheit, Irritation.
Kino: City, Münchner Freiheit, Monopol (auch OmU) R: Th. Vinterberg (Dän, 115 Min.)