"House of Gucci" im Kino: Drei Katzen in einer Frau
Im März 1995 ließ Patrizia Reggiani ihren Ex-Mann, den Mode-Erben Maurizio Gucci, von einem Auftragskiller erschießen. Sie wurde zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt.
Jetzt erzählt Sir Ridley Scott die Chronik der italienischen Dynastie in "House of Gucci". Der Film über ein ikonisches Modehaus und dessen Clan, inszeniert von einem der renommiertesten Regisseure der Welt, in den Hauptrollen mehrere Superstars, angeführt von Lady Gaga und Adam Driver, weckt größte Erwartungen - und erfüllt sie.
In einer Videokonferenz mit der Presse verrieten die beiden Hauptdarsteller, wie sie das Glamour-Drama um Liebe und Verrat aus der Insider-Perspektive erlebten.
AZ: Mr. Driver, Ridley Scott verriet vorab, dass der Film wie ein Theaterstück aufgebaut sei, in drei Akten. Wie beeinflusste das Ihr Spiel?
ADAM DRIVER: Tatsächlich fühlt sich die Art und Weise, wie Ridley dreht, auch viel theatralischer an als ein Film. Denn er stellt so viele Kameras auf, dass man vergisst, wo sie sich alle befinden, und spielt einfach drauflos, wie auf einer Bühne. Wenn ich mal mitten in einer Szene aufschaute, sah ich ein ganzes Team von Kameras, die unter einer großen, schwarzen Decke halb verborgen waren. Ich war mir also des Rahmens nicht wirklich bewusst. Daher fühlte es sich meist an, als würde ich Theater auf einer runden Bühne spielen, was sehr schön war.
Adam Driver: "Maurizio wird erst spät zu dem Erben, der er sein soll"
Wie sehen Sie Ihre Figur, die anfangs lieber mit Lkw-Fahrern Ball spielt, als ein Modeimperium zu leiten?
ADAM DRIVER: Maurizio ist erst einer der realistischsten Charaktere. Er wird erst spät zu dem Erben, der er sein soll. Er ist Anwalt und hat keinerlei Ambitionen, Teil des Gucci-Imperiums zu werden. Dann wird er von diesem erstaunlichen Wesen Patrizia verführt und verliebt sich, gerät auf eine ganz andere Bahn und findet erst am Ende zu sich selbst zurück - aber da ist es natürlich längst zu spät.
Lady Gaga, Sie zeigen in Ihrem erst zweiten Film eine umwerfende Leistung. Als Sie die Rolle annahmen, bestanden Sie darauf, dass niemand Ihnen sagen durfte, wie er Patrizia Reggiani sieht. Wie fanden Sie heraus, wer und was sie ist?
LADY GAGA: Ich habe natürlich erst einmal alles über sie gelesen und Interviews studiert, die sie gab oder die andere über sie gaben. Aber ich habe alles vermieden, was eine zu starke Haltung hatte, weil ich mir erst meine eigene Meinung bilden wollte. Ich habe mich lange damit auseinandergesetzt, wer sie war und warum das alles passiert ist. Ich wollte mich dieser Rolle eher wie eine kritische Journalistin nähern. Immerhin handelt es sich um eine reale, mehrdimensionale Person, die in vielen Interviews auch einfach mal log. Ich wollte selbst entscheiden, wie sie aussieht, wenn sie lügt oder aber ehrlich ist.
Lady Gaga: "Zum Glück lassen nur die wenigsten Frauen ihre Ehemänner gleich ermorden"
Wer war diese Frau, bevor sie auf den Gucci-Erben traf?
LADY GAGA: Über die junge Patrizia Reggiani gab es ganz wenig Hintergrundmaterial, sodass ich mir ein eigenes Bild von ihrer Jugend zimmern musste. Ich glaube, dass sie eine Frau war, die mit sich im Reinen war, als sie sich verliebte. Sie liebte nicht nur Maurizio, sondern auch das, was er darstellte, und die Art und Weise, wie er ihr Einblick gab in das Familienunternehmen - und damit auch Macht. Als ihr das genommen wurde, hat sie völlig überreagiert. Zum Glück lassen nur die wenigsten Frauen ihre Ehemänner gleich ermorden! Dennoch glaube ich, dass dies nur in diesem System der Unterdrückung, wie sie es erlebt hat, passieren konnte, weil sie einfach zu verletzt war.
Inwiefern hat die Mode eine Rolle gespielt? War sie pure Kostümierung oder erzählt sie auch einen Teil der Story?
LADY GAGA: Die Kostümbildnerin Janty Yates hat alle Looks für den Film designt. Ich wollte sicherstellen, dass Patrizia nie ganz so fabelhaft und so unangestrengt elegant aussieht wie die Guccis selbst. Ich wollte aber auch nie, dass die Mode ganz das Reden übernimmt.
So entdeckte Lady Gaga die Körperlichkeit ihrer Figur Patrizia Reggiani
Was war Ihr Gradmesser, um Patrizias Entwicklung darzustellen?
LADY GAGA: Was Patrizias Körper und Bewegungen angeht, habe ich mir drei verschiedene Tiere vorgestellt. Zu Beginn ihres Lebens war sie eine Art Hauskatze. In der Mitte des Films, im zweiten Akt, war sie ein Fuchs. Dafür habe ich beobachtet, wie Füchse jagen. Sie sind ziemlich verspielt bei der Jagd, das passte toll. Und im dritten Akt wird sie zum Panther, die ganz große Katze. Ich habe mir Videos angesehen, wie Panther jagen - ihre Art ist irgendwie verführerisch. Sie verführen erst und dann schlagen sie zu. Mit diesen Bildern habe ich für mich die Körperlichkeit der Figur entdeckt.
Mr. Driver, wie änderte sich die Liebe zwischen Maurizio und Patrizia?
ADAM DRIVER: Ich weiß nicht, woran es lag, dass sich ihre Beziehung veränderte. Manchmal hilft einem selbst das Recherchieren nicht weiter. Aber wie so etwas im Allgemeinen passiert, habe ich durchaus schon bei anderen Figuren herausgefunden. Ich verlasse mich auf die Details, die meine eigene Vorstellungskraft anregen. Ich ging da völlig intuitiv vor. Kurz vor Drehstart habe ich mich zwei Wochen ausschließlich mit der Ausarbeitung des Skripts befasst. Wenn man mit großartigen Schauspielern arbeitet, muss man sich sicher sein, dass man all seine Hausaufgaben und Recherchen bestmöglich erledigt hat.
Adam Driver: "Alle wären bereit gewesen, alles über den Haufen zu werfen"
Und wenn sich am Set offene Fragen ergaben, wurde dann heiß diskutiert?
ADAM DRIVER: Natürlich gibt es immer noch unendlich viel, was man erfragen kann, und manchmal muss man auch eigene Ideen verwerfen und offen sein für bessere. Das genau war es, was diesen Cast ausgezeichnet hat: Jeder war vorbereitet, jeder erschien pünktlich, jeder war optimal eingespielt - aber alle wären bereit gewesen, alles über den Haufen zu werfen, um der Idee eines anderen zu dienen. Und das war nicht abgesprochen oder explizit vereinbart, das war bei dieser Besetzung einfach da. Es macht außerdem so viel mehr Spaß, sich beim Spielen überraschen zu lassen oder auch mit einer eigenen Idee zu kommen und zu versuchen, die anderen davon zu überzeugen.
Und Ridley Scott, Ihr Regisseur, ist von ad-hoc-Änderungen ebenso angetan wie Sie?
ADAM DRIVER: Die Art und Weise, wie Ridley dreht, ist so angelegt, dass man spontan sein kann. Durch die vielen Kameras und Perspektiven gibt es nur sehr wenige Takes. Was es gar nicht gibt, ist, dass die Kamera sich eine halbe Stunde auf A konzentriert und dann 30 Minuten auf B. Nein, jeder Schauspieler beginnt und endet jeden Take so, als ginge es nur um ihn. Das schafft eine echte Wohlfühl-Atmosphäre.
Lady Gaga über Patrizia Reggiani: "Ich glaube nicht, dass sie eine Goldgräberin war"
Gucci kann für Reichtum stehen, für Status, für Familienunternehmen, vielleicht hat die Marke für jede Figur eine eigene Bedeutung. Lady Gaga, was war Gucci für Patrizia?
LADY GAGA: Ich glaube, für Patrizia war Gucci eine Art zu überleben, eine Gelegenheit, auf eine besondere Art und Weise wichtig zu sein. Und eine Möglichkeit, ihrem Ehemann etwas zu bedeuten. Sie hatte das Gefühl, dass sie ihm bei seinen Unternehmungen nützlich sein könnte, sie glänzte durch ihre Stärke. Als die Polizei wegen Steuerhinterziehung ins Haus kommt und sie ihr Haus mit ihrem Leben verteidigt, ist das der Höhepunkt ihres Glanzes. Ich meine, Gucci bedeutet für sie: "So überlebe ich diese Welt. So mache ich mich selbst besser. So mache ich mich zu etwas Besonderem. Und so erhalte ich alles, wovon ich immer geträumt habe." Gucci bot ihr all das. Und sie wollte alles.
War sie ganz banal eine Frau, die einen Versorger suchte?
LADY GAGA: Ich glaube nicht, dass sie eine Goldgräberin war oder nur eine opportunistische, obsessive Frau. Sie glaubte, dass sie all das tun musste. Natürlich reizte es sie, aus ihren Kreisen auszubrechen und sich mehr Beachtung zu verschaffen, als nur die Tochter eines Lkw-Fahrers zu sein. Nach meinen Recherchen war ich überzeugt, dass es sich bei der Spedition ihres Vaters um die Mafia handelte, die sich im Transportwesen versteckte.
Lady Gaga: "Es war so ein Vergnügen, jeden Tag mit Adam zu arbeiten"
Der Film begleitet Patrizia vom 22. bis ins 49. Lebensjahr. Empfanden Sie das als Vergnügen, Luxus oder Druck?
LADY GAGA: Nun, zunächst einmal ist es lächerlich, dass ich als 22- oder 25-Jährige durchgehen kann. Aber ich danke Ridley Scott, dass er an mich geglaubt hat. Es war natürlich eine Herausforderung! Mein Trailer, in dem ich jeden Tag fertig gemacht wurde, sah aus wie ein Wissenschaftslabor. Wir hatten Continuity-Fotos, die nach Szenen geordnet waren, so dass wir immer wussten, wie ich zu einem bestimmten Zeitpunkt auszusehen habe. Wir hatten 15 Perücken, die exakt so aussahen wie ihre Frisuren damals. Sogar die Chemikalien, die zum Färben der Haare verwendet wurden, stammten aus dieser Zeit. Alles, was wir taten, war sehr genau! Denn morgens drehte ich vielleicht eine Szene, in der sie 40 ist, mittags aber eine, in der sie 25 war. Es ging hin und her. Aber weil wir so organisiert waren und die Künstler für Haare, Make-up und Kostüme so präzise eingestimmt waren, waren wir immer bereit.
Sind Sie selbst auch ein so disziplinierter, akkurater, durchorganisierter Mensch?
LADY GAGA: Diese Präzision hat mein Regisseur verdient. Und meine Schauspielerkollegen. Ich wollte nicht nur immer pünktlich am Set sein, sondern immer auch bereit sein für jede Version von Patrizia. Ich glaube übrigens, dass alle am Set ihre Arbeit genauso exakt erfüllt haben. Ich kann gar nicht genug Komplimente an die Kollegen loswerden! Es war so ein Vergnügen, jeden Tag mit Adam zu arbeiten, ach, mit jedem Schauspieler. Denn jeder einzelne wollte, dass dieser Film großartig wird! Ich finde ja, dass es uns jeden Tag gelungen ist, den Boden der Pfanne auszukratzen und daraus Soße zu machen. Das ist eine sehr italienische Redewendung - aber sie bringt's auf den Punkt!
"House of Gucci" - ab Donnerstag, 2. Dezember, im Kino