Interview

Herr Mortensen, was kann uns ein Western noch sagen?

Ein Interview mit Viggo Mortensen zu seinem Film "The Dead Don't Hurt"
von  Adrian Prechtel
Ein Liebespaar zieht in die Wildnis: Viggo Mortensen und Vicky Krieps in "The Dead Don't Hurt".
Ein Liebespaar zieht in die Wildnis: Viggo Mortensen und Vicky Krieps in "The Dead Don't Hurt". © Marcel Zyskind / Alamode

In den 1860er Jahren verliebt sich eine Kanadierin (Vicky Krieps) in San Francisco in einen nach Nordamerika eingewanderten Dänen (Viggo Mortensen). Die beiden versuchen, sich in einer kleinen korrupten Stadt ein gemeinsames Leben aufzubauen. Doch er zieht in den Amerikanischen Bürgerkrieg. Als er zurückkommt, ist alles anders. "The Dead Don't Hurt" ist die zweite Regiearbeit von Viggo Mortensen. Er selbst hat auch das Drehbuch geschrieben, die Rolle neben Krieps übernommen und den Soundtrack komponiert.

AZ: Herr Mortensen, warum haben Sie das etwas ausgelutschte Genre Western für ihre zweite Regiearbeit nach "Falling" gewählt?

VIGGO MORTENSEN: Das Genre war gar nicht mein erster Gedanke. Es sollte ein Film über eine Frau werden: verlassen, stur und sehr auf sich gestellt. Ich habe dann das 19. Jahrhundert im Westen der USA gewählt, weil sich hier für eine Frau alles zuspitzt: hartes Leben, keine schützende Staatsmacht, rechtsfreier Raum, männerdominiert, mit ein paar Typen, die die Macht und Gewalt an sich gerissen haben. Wir sind also am Anfang der klassischen Westernperiode, die zwischen 1860 und 1890 spielt.

Viggo Mortensen wurde 1958 in Manhattan geboren und spricht aufgrund seiner Kindheit in fünf Ländern Englisch, Spanisch und Dänisch. Er wurde bekannt durch seine Rolle als Aragorn in "Der Herr der Ringe". Seine Rollen in "Tödliche Versprechen", "Captain Fantastic" und "Green Book" brachten ihm Oscarnominierungen.
Viggo Mortensen wurde 1958 in Manhattan geboren und spricht aufgrund seiner Kindheit in fünf Ländern Englisch, Spanisch und Dänisch. Er wurde bekannt durch seine Rolle als Aragorn in "Der Herr der Ringe". Seine Rollen in "Tödliche Versprechen", "Captain Fantastic" und "Green Book" brachten ihm Oscarnominierungen. © picture alliance/dpa

Aber da muss man doch aufpassen, dass der Film nicht im Klischee versinkt.

Ich mag bestimmte Western, die klar fotografiert sind, Schönheit der Landschaft und klare Figuren haben. Und wenn man das Klassische mit historischer Korrektheit verbindet, bleibt es ein gutes Genre. Und ich habe deshalb die beiden Hauptcharaktere mit Immigranten besetzt, deren erste Sprache nicht Englisch ist - auch das gehört ja zur Wahrheit: Die so genannte weiße kulturell prägende Mehrheitsschicht besteht aus Einwanderern verschiedenster Prägung. Es ist eine extrem diverse Gesellschaft vom Spanier bis zum Dänen und gar nicht so angelsächsisch geprägt. Und der große Brauch im Film ist es: Wenn ein Mann in den Krieg zieht - wie hier in den Amerikanischen Bürgerkrieg - sind wir bei ihm und nicht wie bei mir: Wir verlieren ihn aus den Augen und bleiben bei der Frau.

Ansonsten ist es klassisch: Es geht um "Go West!", es gibt Gewalt und Korruption, die bekämpft wird.

Absolut.

Indianer kommen nicht vor.

Doch am Ende. Und in der kleinen Stadt sieht man auch welche. Es ist aber die allerletzte Phase der Widerstandskriege der Indianer.

Wenn die Hauptfigur in den Krieg zieht, ist das eine moralische Entscheidung aus Pflichtgefühl. Das ist in Europa plötzlich wieder ganz aktuell geworden.

Ja, und es gibt auch junge Männer, die in die Ukraine gehen, um für die Ukraine zu kämpfen. In meinem Film sagt die Hauptfigur, die ich spiele: Amerika? Jetzt ist es mein Land, und ich kämpfe für die gerechte Sache. Das war auch im Spanischen Bürgerkrieg in den 30er Jahren so, als aus aller Welt Menschen kamen, um gegen den Faschismus zu kämpfen. Und in meinem Western kommt hinzu: Er war schon Soldat und Offizier im deutsch-dänischen Krieg und weiß, dass seine Erfahrung von Nutzen ist. Und er erwähnt die Abschaffung der Sklaverei als eine moralische Motivation. Aber natürlich bleibt Krieg immer ein Desaster für alles: tödlich für die Menschen, die Natur, die psychische Gesundheit - grauenhafte Beschädigungen über Generationen.

Aber Sie inszenieren auch keinen Rache-Western?

Weil man am Ende nur mit Vergebung weiterkommt: Man muss sich selbst, anderen und Gegnern verzeihen, um die eigene Zukunft nicht zu vergiften. Ich habe gerade meinen Film in der Ukraine gezeigt. Und da war die Diskussion über Rache und Vergebung natürlich viel härter - mit fast nur Frauen im Publikum, die erzählten, dass ihr Mann, ihr Sohn im Krieg sind. Und es sind die Frauen, die hinter der Front im Land das Leben am Laufen halten, die abwesenden Männer verteidigen diese Zone - und dann kommt man irgendwann wieder zusammen. Jeder ist anders geworden und man muss wieder zusammenfinden, Kompromisse machen, die Macht wieder neu austarieren - einschließlich der Kinder. Mein Film ist in dieser Beziehung ein echter Liebesfilm, wenn auch ein tragischer.

K: Leopold, City, Rio (alle auch OmU) sowie Monopol (OmU) und Museum (OV); B&R: Viggo Mortensen (Can, Mex, DK, 129 Min.)

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