"Herr Bachmann und seine Klasse": Imposante Doku mit Gefühl
Wer erinnert sich nicht mit Grauen daran, wenn Lehrer sich peinliche Bemerkungen bei der Notenvergabe nicht verkneifen konnten, man am liebsten in den Boden versunken wäre?
Dieter Bachmann schlägt ganz andere Töne an. Er zieht nicht runter oder mosert, sondern ermuntert: "Diese Noten zeigen überhaupt nichts von euch, das sind nur Momentaufnahmen, viel wichtiger ist, dass ihr tolle Kinder seid, tolle Jugendliche".
Ein Lehrer, der Menschlichkeit und Respekt vorlebt
Da macht Lernen Spaß. Dieser Mann begegnet den ihm Anbefohlenen auf Augenhöhe und vorurteilsfrei, unterwandert das oft rigide Bildungssystem mit Menschlichkeit und Respekt, ebnet Migrantenkindern Wege zum sozialen Aufstieg und bestärkt sie, sich nicht unterkriegen zu lassen.
Integration wird an diesem Ort des Vertrauens nicht diskutiert, sondern gelebt. Das hessische Städtchen Stadtallendorf hat 21.000 Einwohner, 70 Prozent mit Migrationshintergrund, 5.000 davon Muslime.
In der Klasse 6b der Georg-Büchner-Gesamtschule tummeln sich Mädchen und Jungen aus neun Ländern und unterschiedlichen Kulturen, angefangen von Bulgarien und Rumänien über die Türkei bis hin nach Kasachstan oder Marokko. Die meisten stammen aus prekären Verhältnissen, das Sprachgewirr in den Pausen erinnert an den Turm zu Babylon.
Immer im Gewühl ist der Erzieher mit bunter Ringelmütze, der auf den ersten Blick wirkt wie ein gutmütiger Bär, aber die Kids im Griff hat. Trotz allem Verständnis und lockerer Atmosphäre ist diese Schule kein Kuschelzoo, auch hier geht es um Leistung, Weichenstellung für die Zukunft.
Mit unkonventionellen Methoden zum Erfolg
Maria Speth begleitet in ihrer einfühlsam-kraftvollen, dreieinhalbstündigen Langzeitdoku ohne Kommentar über Monate den Klassenverband und den Mann, der in einer Mischung aus Dompteur und Kumpel die Einzelnen ermutigt, aber auch provoziert und kritisiert.
Er hilft ihnen, Minderwertigkeitsgefühle und Furcht zu überwinden, stolz zu sein, zu ihren Schwächen zu stehen. "Herr Bachmann" sieht sich nicht als "Wissensvermittler", mit seinen unkonventionellen Methoden sorgt er für Aufmerksamkeit, nähert sich Themen durch Musik, Tanz, ernsthafte Debatten oder Humor, egal ob Rassismus oder Sex. Wenn ein Mädchen strahlt, weil es keine Angst mehr hat, ausgelacht zu werden, freut er sich wie ein Schneekönig.
So ganz genau erfährt man nicht, wie dieser Revoluzzer, Aussteiger, Folksänger und Bildhauer als Quereinsteiger im Schuldienst landete. Seit 17 Jahren ist er Lehrer und fühlt sich nicht im Geringsten als Autorität. Im AC/DC-T-Shirt greift er auch schon mal zur Gitarre, malt mit ihnen oder lässt die Jugendlichen sich beim Breaktanz austoben, nimmt ihnen sanft den Bammel vor dem Übertritt in eine weiterführende Schule, vielleicht sogar aufs Gymnasium.
"Herr Bachmann und seine Klasse" ist ein Stück Utopie von einer Gemeinschaft, in der sich die Einzelnen nicht als Konkurrenten beäugen, sondern ihre Möglichkeiten sondieren und gemeinsam ein Ziel erreichen wollen, auch wenn es zwischen ihnen mal kracht.
Der inzwischen pensionierte Pädagoge stärkte das Selbstgefühl mit einfachen Worten wie "ich weiß, du hast es drauf, ich find' dich gut". Um Marginalisierung und Ausgrenzung zu vermeiden, braucht es viele Bachmanns.
Ab Freitag Vorstellungen im City-Atelier, Monopol und Studio Isabella. Regie: Maria Speth (D, 217 Minuten)
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