"Gut gegen Nordwind": Von wegen angestaubte E-Mail-Romanze

Eine aufkeimende Liebe zwischen zwei Fremden: Leo und Emma machen in "Gut gegen Nordwind" durch Zufall Bekanntschaft via E-Mail und beschließen, sich fortan anonym über ihr Innerstes auszutauschen. Kann eine E-Mail-Romanze a la "E-Mail für dich" heute noch auf der Kinoleinwand funktionieren?
von  (jom/spot)
So nah und doch so fern: Leo und Emmi trennen unwissentlich in ihrem Alltag oft nur wenige Meter voneinander
So nah und doch so fern: Leo und Emmi trennen unwissentlich in ihrem Alltag oft nur wenige Meter voneinander © 2019 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH / Tom Trambow

Eine aufkeimende Liebe zwischen zwei Fremden: Leo und Emma machen in "Gut gegen Nordwind" durch Zufall Bekanntschaft via E-Mail und beschließen, sich fortan anonym über ihr Innerstes auszutauschen. Kann eine E-Mail-Romanze à la "E-Mail für dich" heute noch auf der Kinoleinwand funktionieren?

In der deutschen Produktion "Gut gegen Nordwind" wagen Leo (Alexander Fehling) und Emma (Nora Tschirner) ein Experiment: Nachdem eine Mail der Klavierlehrerin versehentlich bei dem Sprachwissenschaftler landet, beschließen sie, den angefangenen E-Mail-Dialog weiterzuführen. Die Voraussetzung: beide bleiben anonym.

Regisseurin Vanessa Jopp und Drehbuchautorin Jane Ainscough ("Ich bin dann mal weg") haben sich dem Bestseller von Daniel Glattauer, der insgesamt schon über 2,5 Millionen Mal verkauft wurde, angenommen. Doch ist eine E-Mail-Romanze in der heutigen digitalen Welt noch glaubwürdig? Für die Kinoleinwand haben sie den 2006 veröffentlichten E-Mail-Roman an die heutige Smartphone-Welt angepasst. Mit starken Schauspielern gelingt, bis auf eine kurze Durststrecke, eine glaubwürdige Umsetzung.

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Darum geht's in "Gut gegen Nordwind"

"Ich möchte bitte mein Abonnement kündigen. Geht das auf diesem Weg?" Ein Buchstabe zu viel und Emma Rothners (Nora Tschirner) E-Mail an einen Zeitschriftenverlag landet beim vom Liebeskummer geplagten Linguisten Leo Leike (Alexander Fehling). Der wimmelt die Absenderin mit einer kurzen E-Mail und dem Hinweis auf ihren Irrtum ab. Doch die geistreiche Antwort der Unbekannten lässt Leo aufhorchen. Und so beginnt ein E-Mail-Chat zwischen den beiden, in dem sie sich immer vertrautere und persönlichere Dinge erzählen. Um ihre Anonymität zu wahren, gilt die Regel: kein Google, kein Instagram, kein Facebook!

Bald ahnen die beiden, dass sie mehr als eine digitale Freundschaft verbindet. Leo ist von Emmis - so darf nur er sie nennen - Witz und Einfühlungsvermögen fasziniert, Emmi kann durch die Gespräche aus ihrem (zu) harmonischen Alltag flüchten. Doch hätte eine Liebe außerhalb der virtuellen Welt eine Chance? Gründe für das Vermeiden eines Treffens finden beide genug: "Emmi ist meine Flucht, ich will mir das nicht mit der Realität versauen", erklärt Leo die Angst vor einer Entzauberung, die auch bei Emmi herrscht. Besonders für sie ist der Austausch mit einem Fremden ein Spiel mit dem Feuer: Sie ist verheiratet.

Ein tragisches Ereignis in seiner Familie, die Annäherung an seine Ex-Freundin Marlene (Claudia Eisinger) und ein Jobangebot in Boston sorgen dafür, dass Leo sich von Emmi immer weiter entfernt. Und auch Emmi muss ihr "echtes" Leben mit Ehemann Bernhard (Ulrich Thomsen) samt seinen Kindern aus erster Ehe in den Griff bekommen. Doch ihre Gefühle für den Unbekannten verlassen immer mehr den Bildschirm. Sie will ihm endlich in die Augen sehen können.

So geht Liebe aus dem virtuellen Briefkasten heute

"Gut gegen Nordwind" liefert den Beweis: Eine E-Mail-Romanze abseits von Tinder und Co. ist durchaus noch möglich. Ohne vorab abgeurteilte Fotos des potenziellen Dates gewinnt sie sogar wieder an Attraktivität. Durch die erweiterte Kommunikationsform via Smartphone-Display kann sie sich abseits von Schreibtisch und Laptop sogar "mobil" noch schneller und intensiver entwickeln. Ob im Supermarkt, Baumarkt oder im Schlafzimmer, eine Nachricht ist schnell verfasst. Doch die Dauererreichbarkeit droht auch jedwede Romantik zu zerstören, denn eine unbeantwortete Nachricht führt sogleich zu Unsicherheit und Zweifeln beim Gegenüber, wie der Film eindrucksvoll zeigt.

Für die Glaubhaftigkeit der virtuellen Romanze sorgen auch die beiden Hauptdarsteller Fehling und Tschirner. Trotz räumlicher Trennung machen sie durch ihre Blicke und Gesichtsausdrücke beim Lesen und Verfassen ihrer Nachrichten deutlich, dass sie sich nahe sind. "Emmi zu schreiben, ist wie Emmi zu küssen", erklärt es Fehlings Rolle Leo treffend.

Fazit

Besonders am Anfang glänzt der Film mit dem pointierten, trockenen Humor der E-Mails. Auch dass die Perspektive zunächst auf dem liebeskranken Leo bleibt und rund 40 Minuten vergehen, bis der Zuschauer ein Bild zu Leos rätselhafter E-Mail-Bekanntschaft bekommt, sorgt für Aufmerksamkeit - auch wenn Nora Tschirners markante Stimme aus dem Off dem ein oder anderen Kinobesucher bereits einen Hinweis liefern könnte.

Der erste Zauber des E-Mail-Dialogs verfliegt zur Mitte des Films. Es folgen teilweise eintönige Szenen, in denen sich Emmi und Leo hinter ihren Laptops verstecken und ihre digitale Insel partout nicht verlassen wollen. Eine Entscheidung muss her: Erst am Ende nimmt der Film noch einmal Fahrt auf, als sich jemand in den E-Mail-Verkehr einmischt und ein Aufeinandertreffen der scheinbar Seelenverwandten kurz bevorsteht - einen größeren Spannungsverlauf kann man bei einer Romanze via Web vielleicht auch nicht erwarten. Ob Emmi und Leo ein Happy End feiern, sehen deutsche Kinobesucher ab dem 12. September.

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