„Gleißendes Glück“: Düsteres Ballett der Begierde
Es könnte immer so weitergehen im Alltagstrott der in einer trostlosen Ehe gefangenen Helene Brindel. Bis der Zufall Schicksal spielt und sie ein Interview mit dem Hirnforscher Eduard E. Gluck sieht und sich noch am gleichen Tag dessen Buch „Neue Kybernetik“ kauft.
Fasziniert fährt sie nach Hamburg, verfolgt gespannt den Vortrag des Ratgeber-Autors und spricht ihn mutig an. Ob aus Langeweile oder Neugier, der eloquente Professor lädt die schüchterne Hausfrau zum Abendessen ein. Ganz unerwartet fühlen sie sich zueinander hingezogen.
Die Fassede des seöbstsicheren und charmanten Wissenschaftlers beginnt zu bröckeln
Doch bald bröckelt die Fassade des nur vordergründig selbstsicheren und charmanten Wissenschaftlers, beichtet er ihr ein dunkles Geheimnis, seine Abhängigkeit von harten Pornos, seinen Hang zu extremem SM-Sex und die damit einhergehende Beziehungsunfähigkeit. Entsetzt bricht sie den Kontakt ab, antwortet später doch auf seine Postkarten und besucht ihn sogar in Berlin.
Wenn zwei imponierende Schauspieler wie Martina Gedeck („Die Wand“) und Ulrich Tukur („John Rabe“, „Houston“) Grenzen ausloten, kann nichts schief gehen, auch wenn die gefährliche Liaison zwischen eifriger Kirchgängerin und populärem Talkshow-Psychologen seltsame Volten schlägt und manchmal an eine nüchterne Versuchsanordnung erinnert. Aber wie die Spießige aus dem netten Vorstadthäuschen mit den inneren Dämonen des Menschen umgeht, der sie aus ihrer Lebenslüge reißt und ihr sexuelles Neuland eröffnet, das wird zu einem aufregenden Pas de Deux, in dem sich zwei verwundete Seelen aneinander herantasten, zu einem düsteren Ballett von Begierde und Befriedigung, Angst und Abwehr, Sehnsucht und Scham.
Sicheres Gespür für Figurenzeichnung und große emotionale Dichte
Auf den ersten Blick ein Teufelskreis, Erlösung kaum möglich. Doch dann keimt Hoffnung auf. So wie Sven Taddicken in dieser Adaption von A.L. Kennedys Roman hat lange keiner mehr im Kino von Liebe erzählt. Mit sicherem Gespür für Figurenzeichnung und in großer emotionaler Dichte entwirft er das Universum zweier Menschen mit kaputten Biografien, aus deren platonischem Verhältnis sich körperliche Hingabe entwickelt. Aus tiefer Einsamkeit entsteht eine verstörende Art von Gemeinsamkeit, in großer Ehrlichkeit offenbart jeder seine geschundenen Gefühle.
Als Helene nach dem Gewaltexzess des Ehemannes im Krankenhaus aufwacht, sitzt Eduard an ihrem Bett. Nichts ist sicher, aber das reine und gleißende Glück, der Neuanfang und eine Annäherung an das Leben, scheinen zum Greifen nah.
Kinos: ABC, Arri
R: Sven Taddicken (D 2016, 102 Min)
- Themen:
- Ulrich Tukur