Gewinner bei den Oscars 2024: Sandra Hüller geht leer aus, "Oppenheimer" ist großer Abräumer

Spannend hätte sie werden können, die 96. Oscarverleihung – als die große Feier des Kinos nach Horrorjahren: geprägt durch Corona und lähmende Streiks der Drehbuchautoren und Schauspielerinnen und Schauspieler. Und dann räumt einfach der Favorit in einer kurzen und bündigen Verleihung ab: Dreizehn Mal nominiert ging „Oppenheimer“ mit sieben Oscars aus der Nacht auf Montag – darunter mit Goldjungs in den Königskategorien „Bester Film“, „Beste Regie“ und mit dem „Besten Hauptdarsteller“ Cillian Murphy, der den schillernden Atomphysiker Robert Oppenheimer spielt, den „Vater der Atombombe“.
Eine Feier des Kinos: "Oppenheimer" ist großer Oscar-Gewinner 2024
Das Bemerkenswerte daran ist, dass Regisseur Christopher Nolan mit diesem Film etwas ins Kino brachte, was eigentlich kein Blockbuster hätte werden können: drei Stunden lang und ein Stilwirbel zwischen Schwarz-weiß und Farbe mit Trickaufnahmen ohne Computeranimation, weil Nolan das physisch erlebbare Kino feiert und daran glaubt, dass zu viel Digitales das Kinoerlebnis sterilisiert. „Oppenheimer“ ist actionfrei, und alles dreht sich um eine Person, die kein klassischer Sympathieträger ist: ein bombenberechnender Physik-Nerd: undurchschaubar, in Liebesdingen unzuverlässig, politisch unbequem, dabei auch kein amerikanischer Patriot, sondern ein international denkender kritischer Mahner, nachdem seine Bombe als Triumph der Wissenschaft gezündet hatte. Und trotzdem spielte „Oppenheimer“ knapp eine Milliarde Dollar weltweit ein. So war die Oscar-Nacht auch ein Triumph des sogenannten Autorenkinos – also einer Kunst, in der man dem Regisseur, der auch Drehbuchautor ist, Geld in die Hand drückt, um seine monomanische Vision zu verwirklichen. In dieser Größenordnung gibt es da vergleichbar eigentlich nur noch Quentin Tarantino.
Emma Stone räumt Oscar als "Beste Hauptdarstellerin" ab
Dass also die globalisierte Filmwelt – natürlich US-dominiert beim Oscar – diesen Film so stark hervorgehoben hat, ist eine Feier des Kinos in seiner unersetzlichen Großleinwandform und als intellektuelles, künstlerisches Erlebnis. Al Pacino hatte als Präsentator am Ende der Gala den Schlusspunkt mit dem endgültigen Triumph für „Oppenheimer“ gesetzt – fahrig und ungelenk, was für Gelächter sorgte: Keiner der zehn als „Beste Filme“ nominierten Werke erwähnte der 83-Jährige überhaupt: „Nun, dies ist der Zeitpunkt für die letzte Auszeichnung des Abends. Und es ist mir eine Ehre, ihn zu überreichen. Zehn wunderbare Filme wurden nominiert, aber nur einer wird den Preis für den besten Film erhalten. Und dafür muss ich an den Umschlag gehen. Und das werde ich jetzt tun. Da kommt er. Und meine Augen sehen ,Oppenheimer'“. Dann setzten Jubel und Orchester ein.
Kimmel stichelt gegen Trump
Zum großen Kino-Glaubensbekenntnis gehörten dann auch gleich noch die vier Oscars für den großen Konkurrenten: „Poor Things“ von Yorgos Lanthimos. Und hiermit – auch wenn es für die Königskathegorien bis auf eine nicht gelangt hat – ist auch ein Film in den Himmel gehoben worden, der ein herausfordernder Kinogenuss ist: eine bizarre, feministische, irritierende Frankensteingeschichte mit Emma Stone, die auch gleich den Oscar als Beste Darstellerin bekam, weil sie radikal, mit Mut zu Hässlichkeit und Sex in einem bizarren Setting eine Frau spielt, die die Entwicklung durchläuft von einer Kindfrau über eine selbstbestimmte Sexarbeiterin bishin zur Medizinprofessorin.
Auch zu so einer Geschichte entschließt man sich als Zuschauer nicht am Laptop oder vor dem Fernseher, sondern auch hier gilt, der etwas veraltete Spruch: „Kino – dafür werden Filme gemacht!“ mit bestem Szenenbild, Make-up und Kostümdesign. Bei der Übergabe dieses Oscars ist dann Wrestling-Star John Cena nackt aufgetreten – mit den Worten: „Kostüme sind sehr wichtig!“ Dabei hielt er sich den großen Umschlag, der den Gewinnerfilmnamen enthält, vor den Schritt. Moderator Jimmy Kimmel warf ihm im Anschluss noch einen Umhang über.
"Barbie" kommt im schwarzen Abendkleid
Kimmel selbst nutzte die Bühne für ein paar Witze gegen Trump, der parallel zur Oscar-Verleihung die Show auf der Plattform Truth Social kommentierte – wie „Gab es jemals einen schlechteren Gastgeber als Jimmy Kimmel bei den Oscars?“
Kimmel las dann noch etwas weiter aus den Beleidigungen vor und beendete seine Zusammenfassung mit „Blalablabla - make America great again“ und sagte dann: „Danke, Mr. Trump. Danke fürs Zuschauen. Ich bin überrascht, dass Sie noch...“ Er stockte kurz und fragte: „Ist es nicht schon längst Gefängnis-Bettgehzeit?“ Dabei war man in diesem Jahr sogar schon anderthalb Stunden früher fertig als in den vergangenen Jahren mit der Gala und ihren 23 Kategorien.
Die Vergabe der ästethischen Nebenkategorien an „Poor Things“ erinnerte dann noch an einen anderen alten Kinowebespruch: „Mach Dir ein paar schöne Stunden: Geh‘ ins Kino!“ Das hatte im vergangenen und jetzt oscar-gefeierten Kinojahr für Margot Robbies „Barbie“ gegolten – dem umsatzstärksten Film der vergangenen Saison (mit knapp 1,5 Milliarden Dollar). Aber das pinke Werk wurde schon bei den Nominierungen abgestraft – und ist rückblickend vielleicht auch als das erkannt worden, was er ist: pseudofeministisch und letztlich doch zuckerwattig anbiedernd statt kritisch. Fast war es also trotzig, dass Robbie nach ihren pinken Propaganda-Outfits des letzten Jahres diesmal im schwarzen Abendkleid erschien.
Zurück von diesem Film bleibt als Eindruck aus der Oscarnacht nur der Song von Billie Eilish und Finneas O’Connell „What Was I Made For?“ – aber genau diese geschlechtsspezifische Identitätsfrage konnte der Film ja auch nicht klären.
Bleibt noch die Frage, warum die 96. Oscarverleihung kein deutscher oder indirekt deutscher Triumph wurde? Ilker Catak war ja mit seinem packenden Schuldrama „Das Lehrerzimmer“ in der herausragenden Kategorie „Bester internationaler Film“ nominiert. „Das Lehrerzimmer“ war aber vielleicht doch zu deutsch, zu nischig, zu kammerspielartig, aber allein die Nominierung war eine riesige Anerkennung für dieses aufwühlende Drama.
Der Gewinner als „Bester internationaler Film“, „The Zone of Interest“, von Jonathan Glazer hingegen spielte das große Thema „Holocaust“ – aber ganz besonders und zeigt als große subtile Kunst die Durchbrutalisierung einer Gesellschaft.
Kein Oscar für Sandra Hüller
Der Brite Glazer machte in seiner Dankesrede klar, dass sein Film eben nicht in der Vergangenheit feststeckt: „Alle unsere filmischen Entscheidungen haben wir getroffen, um uns in der Gegenwart zum Nachdenken anzuregen“, sagte der 58-Jährige: „Nicht um zu sagen: Schaut, was sie damals getan haben, sondern: Schaut, was wir heute tun! Unser Film zeigt, wohin die Entmenschlichung in ihrer schlimmsten Form führt, sie hat unsere gesamte Vergangenheit und Gegenwart geprägt.“ Und er fuhr fort, nun stünden einige Filmemacher hier und wehrten sich dagegen, dass „ihr Jüdischsein und der Holocaust“ ausgenutzt würden für eine Besatzung, die für so viele unschuldige Menschen zu Konflikt geführt habe: „Ob es die Opfer des 7. Oktober in Israel oder der andauernden Attacke auf Gaza sind: Alle sind Opfer dieser Entmenschlichung.“
Im Falle von Glazers „The Zone of Interest“ muss man zwingend noch die gewonnene Nebenkategorie erwähnen: „Bester Ton“! Der Film betritt Auschwitz optisch sinnvollerweise nicht. Aber was die Bilder verweigern, suggeriert auf bedrohlich unheimliche Weise die Tonspur, auf der Schäferhundgebell, Befehls- und Angstschreie und Schüsse eingemischt sind. Und scheinbar wie aus der Hölle kommende, gleitende Musik-, Chor- und Sirenenklänge bohren sich über die Ohren ins Gehirn der Zuschauer.
Das Drama war auch als „Bester Film“ nominiert, was ebenfalls bemerkenswert war, weil er auf Deutsch gedreht ist – die Tätersprache der Familie Höß, die in der KZ-Kommandantenvilla in Auschwitz wohnt.
Das Kino lebt
Dass ein derart kunstvoller und harter Film in deutschen Kino-Charts auf Platz zwei nach „Dune“ steht, spricht für auch in diesem Fall für die Kraft des Kinos. Und Sandra Hüller, die als „Beste Darstellerin“ für den französischen Film „Anatomie eines Falls“ nominiert war, trägt auch diesen Film entscheidend mit als Hedwig Höß. So bleibt sie auch ohne Oscar eine der großen Figuren und Frauen des diesjährigen Oscars.
Und Wim Wenders? Auch er konnte sich gegen Glazer nicht durchsetzen mit seinem japanischen wunderschönen Alltags-Weisheits-Film „Perfect Days“. Aber auch hier gilt die oft als Trost missverstanden Floskel: Dabeisein ist alles! Vor allem in einem derart guten Umfeld, was zeigt: Das Kino lebt! Und nicht nur die Wüste, die mit „Dune: Teil II“ gerade im Kino zeigt: Es geht auch wieder im ganz Großen.