"Get Out": Nur nicht schwarz-weiß denken!

Strahlender Sonnenschein. Eine leergefegte Straße. Da kann die Konzentration schon mal flöten gehen. So wie beim Endzwanziger-Pärchen Chris (Daniel Kaluuya) und Rose (Allison Williams). Mitten beim Flirten springt ein Reh auf die Fahrbahn, knallt frontal auf die Windschutzscheibe.
Blut spritzt, Blech kracht, doch die Insassen haben nur einen Schock, bleiben unverletzt. Die Verletzung kommt später, als ein Polizist auftaucht, um sich den Unfall erklären zu lassen. Der weiße Officer interessiert sich aber für die Schilderung von Rose nur am Rande, mustert lieber den Beifahrer, bis es aus ihm herausplatzt: "Ausweis bitte!" Für diese Aufforderung kann es nur einen Grund geben: Chris ist schwarz, also verdächtig.
Durch das entschiedene Eintreten von Rose wird die Situation entschärft, doch zeigt sie ganz subtil, wie unterschwellig der Rassismus in den USA tagtäglich transportiert wird. Ein Umstand, der sich nach den Vorfällen von Ferguson und der Wahl von Donald Trump weiter dramatisiert.
Filmemacher Jordan Peele ist der Sohn eines Schwarzen und einer Weißen. Ein Mann, der sich in der Comedy-Serie "Key and Peele" klug und bissig mit seiner Herkunft und rassistischen Vorurteilen auseinandersetzt. Der große Wurf ist dem Satiriker nun mit "Get Out" gelungen, ein gleichsam packendes wie verstörendes Stimmungsbild der USA.
Nach einem schockierenden Prolog, in dem ein schwarzer Junge in einem ausgestorbenen Vorort von einem Porschefahrer überwältigt und in den Kofferraum gesperrt wird, verändert sich der Tonfall von "Get Out" radikal von Grusel zu (vordergründig) Seicht.
Angeblich liberale Schwiegereltern
Wir lernen den unbekümmerten Fotografen Chris kennen, der die Eltern seiner bildhübschen Freundin treffen soll. Einziger Haken: Die wissen noch nicht, dass er schwarz ist. Doch Rose wiegelt ab: Ihre Eltern, ein Neurochirurg im Ruhestand (Bradley Whitford) und eine Psychiaterin (Catherine Keener) sind lässig-liberal und Obama-Fans.
Vor Ort aber will die leichte Beklemmung, die sich nach dem Reh-Unfall um Chris gelegt hat, auch vom Zuschauer nicht abfallen. Denn die joviale Freundlichkeit der Schwiegereltern wirkt zwanghaft. Auch irritiert, dass die Bediensteten devote Schwarze sind – so als hätte die Sklavenbefreiung nie stattgefunden. Wie subtil Peele nun die Zeichen für ein aufziehendes Unheil setzt, ist meisterhaft.
Dean, der Vater von Rose, schwärmt vor dem Schwiegersohn in spe beim Rundgang auf dem herrschaftlichen Grundstück von schwarzen Heldenfiguren. Darunter sind der Golfspieler Tiger Woods oder der Leichathlet Jesse Owens, der Deans Vater in der Olympia-Qualifikation geschlagen hatte und 1936 vor den Augen Hitlers den "Weißen Mann" besiegen konnte. Wohl selten hat sich Bewunderung so bedrohlich angehört.
Auch die Bemühungen von Roses Mutter, Chris mit Hypnose das Rauchen abzugewöhnen haben eher etwas unheimlich Zwanghaft-Beschwörendes als Freundlich-Pädagogisches. Chris’ Vorbehalte "sich nicht wohl nur unter Weißen zu fühlen" werden bestätigt, als eine Party zu Ehren des berühmten Großvaters aus dem Ruder läuft. Dort ist nämlich nur ein Farbiger zu Gast.
In Kleidung und Körpersprache an einen gebrochenen Baumwollpflücker aus dunkler Vergangenheit erinnernd, schafft der es nicht mal die coole Black Panther Faust bei der Begrüßung von Chris zu ballen. Wie es jetzt Peele gelingt, bis in den heftigen Ein-Mann-gegen-alle-Showdown hinein im Mantel eines Thrillers mit Horrorelementen die scharfe, auch kulturgeschichtliche Trennung von Schwarz und Weiß selbst im aufgeklärt-bildungsbürgerlichen Milieu zu erzählen, dürfte selbst Kritiker des nervenzehrenden Genres begeistern. So intelligent ist das hier durchgespielt.
Kino: Cinemaxx, Solln, Leopold, Mathäser, Gabriel (auch OmU), Monopol und City (OmU) sowie Cinema (OV)
R: Jordan Peele (USA, 104 Min.)