François Cluzet hat keinen Bedarf an Medaillen
Nicht erst seit dem Welterfolg von "Ziemlich beste Freunde" ist François Cluzet ein Star, auch wenn er keiner sein will. In Thomas Liltis Kinofilm "Der Landarzt von Chaussy" spielt er nun einen von Humanität geprägten Mediziner, der trotz eigener Krankheit immer für seine Patienten da ist. Ruhm bedeutet dem Schauspieler wenig, er ist bescheiden und bodenständig geblieben.
AZ: Monsieur Cluzet, was schätzen Sie an diesem Arzt?
François Cluzet: "Seinen Altruismus, seine Leidenschaft zu helfen und zuzuhören, ein altmodischer Doktor, für den der Patient zählt. Eine Rarität in unserer von Profit bestimmten Gesellschaft, in der ein Mediziner wie im Akkord Diagnosen stellt und sich keine Zeit mehr nimmt für den Einzelnen.
Auf dem Land kennt der Arzt die Geschichte der Patienten, ihrer Familie, da hat sich eine vertrauensvolle Beziehung über Jahrzehnte entwickelt. Er ist Psychologe, Sozialarbeiter, Freund und Berater. Ich erinnere mich an unseren Arzt, der drei Generationen behandelte: die Großeltern, meine Eltern und uns Kinder. Diese Spezies ist am Aussterben, wer will schon rund um die Uhr erreichbar sein? Die politisch Verantwortlichen müssen die Stellung des Landarztes aufwerten.
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Kann dabei der Film helfen? Fühlen Sie als Künstler eine besondere gesellschaftliche Verantwortung?
François Cluzet: "Natürlich. Aber ich mag keine Künstler, die glauben, anderen sagen zu müssen, was sie wählen oder wie sie leben sollen. Ich finde es unehrlich und mies, Ratschläge vom hohen Ross zu geben, die man selbst nicht beherzigt. Ehrlichkeit ist das Minimum, was ich von einem Künstler erwarte und kein pseudo-politisches Gewäsch."
Warum haben Sie die französische Auszeichnung "Légion d‘honneur" abgelehnt?
François Cluzet: "Es gibt sicherlich Menschen, die die Auszeichnung mehr verdient haben, wie ein Familienvater, der seine fünf Kinder nur mühsam durchbringen kann. Ein Künstler sollte sich nicht vom Staat vereinnahmen lassen. Wenn der mir eine Ehrung vorschlägt, bin ich skeptisch. Ich habe keinen Bedarf an dekorativen Medaillen."
Aber Sie haben viel für den französischen Film getan. Das wäre eine Geste der Anerkennung gewesen.
François Cluzet: "Ich habe viel für mich getan, nicht für den französischen Film. Ich bin nicht von mir selbst fasziniert, habe die gebotenen Chancen genutzt und gearbeitet, mein Ziel immer vor Augen."
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Mir scheint, Sie mögen keine Komplimente?
François Cluzet: "Ich komme aus kleinen Verhältnissen und da stellt man sich nicht in den Vordergrund, backt kleine Brötchen. Und ich weiss, was Demütigung heißt. Ich musste immer kämpfen und war ein trauriger Junge, habe aber früh durch meine Eltern gelernt, was Sensibilität bedeutet. Wer mit dem goldenen Löffel im Mund geboren ist, ist oft hochnäsig und hält andere oft für minderwertig.
Ich kenne diese prätentiösen Wichtel, die sich mit 25 Jahren für einen Star halten und sich mit Sonnenbrille und Zigarette supercool geben. Bescheidenheit ist für mich eine Form von Intelligenz. Ich möchte nicht auf der Stelle treten, sondern die Augen offen halten. Ein Clochard auf der Straße bekommt mehr Aufmerksamkeit von mir als ein vorbei donnernder Rolls-Royce-Fahrer. Denn der braucht mich wirklich nicht."
"Ziemlich beste Freunde“ sahen 53 Millionen Zuschauer weltweit. Was hat dieser Wahnsinnserfolg für Sie verändert?
François Cluzet: "Das war ein schöner und guter Film, sehr menschlich und sehr humorvoll. Bei einem schlechten Film hätte mich diese Riesenresonanz geärgert. Man sollte auf dem Teppich bleiben, manchmal erwischt ein Film einfach den richtigen Moment. Ich denke nicht an das, was ich erreicht habe, sondern an das, was ich noch erreichen will."
Sie haben mit den wichtigsten Regisseuren gedreht. Sind Ihre Wünsche in Erfüllung gegangen?
François Cluzet: "Schon als Zehnjähriger kannte ich nur zwei Ziele: beruflichen Erfolg als Schauspieler zu haben und immer verliebt zu sein. Ich habe die Frauen gewechselt und das ultimative Glück in der Liebe vor sechs Jahren gefunden, als ich dachte, ich sei zu alt dafür. Es ist ein Geschenk, seine Träume zu verwirklichen.
Ich bin ehrgeizig ohne den Drang, ein Ego aufzubauen, es reicht schon, im egozentrischen und narzisstischen Filmgeschäft zu arbeiten. Nichts liegt mir ferner, als mich auf ein Podest stellen zu lassen. Das würde mir Lebendigkeit und Neugier nehmen. Der Erfolg gab mir Selbstvertrauen und den Mut, mich an schwierige Filme heranzuwagen."
Schauen Sie optimistisch in die Zukunft?
François Cluzet: "Das muss ich, sonst dürfte ich keine Kinder haben. Wir müssen wieder lernen, dass das Leben aus Geben und Nehmen besteht, nicht nur aus dem Ich, sondern aus dem Wir. Es gibt Fortschritte. Wer hätte sich vor 50 Jahren in Frankreich die heutige Vermögenssteuer vorstellen können?"
Margret Köhler Regie: Thomas Lilti (F. 102 Min.) Kino: ABC, Theatiner (OmU), Breitwand Seefeld, Studio Isabella, Monopol.
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