Fortschritt fordert Verluste

Unsere Oscar-Filmerin Caroline Link hat mit Ulrich Tukur "Exit Marakech"  gedreht. Sie spricht über Marokko und Afrika.
Markus Tschiedert |
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Jenseits der Stille“ war 1996 schon ein großer Publikumserfolg, „Nirgendwo in Afrika“ gewann 2002 den Oscar. 2008 folgte „Im Winter ein Jahr“ und jetzt: „Exit Marrakech“, der das Filmfest München in diesem Jahr eröffnete und übermorgen im Kino startet. Darin spielt Ulrich Tukur einen Regisseur, der, von seiner Frau geschieden, das Aufwachsen seines Sohnes nicht begleitet hat. Jetzt trifft er den 17-Jährigen bei seiner Theatertour. Beide müssen sich den Vater-Sohn-Fragen stellen.

AZ: Frau Link, warum lassen Sie Ihren neuen Film ausgerechnet in Marokko spielen?

CAROLINE LINK: Mit meinem Lebensgefährten Dominik Graf war ich vor 22 Jahren frisch verliebt in Marokko. Das war eine unglaublich schöne Reise, obwohl es zur Zeit des Golfkrieges war, als allen westlichen Touristen empfohlen wurde, das Land zu verlassen. Wir sind trotzdem geblieben und waren teilweise sogar die einzigen Gäste in den Hotels und auf den Straßen. Es war eine Reise, die unter einem abenteuerlichen und verliebten Stern stand, und nach so langer Zeit wollte ich jetzt überprüfen, ob mich das Land immer noch so fasziniert.

Hat sich das Land verändert?

Es ist wesentlich moderner geworden und Marrakesch ist sogar explodiert und durch die Neustadt, die es 1991 noch gar nicht so gab, viel größer geworden. Marokko gibt sich gerade sehr viel Mühe, den Anschluss an westliche Standards nicht zu verpassen. Manchmal ist das traurig, weil man auch sieht, was dadurch kaputt gemacht und zu viel neu gebaut wird. Der Tourismus wird gleichzeitig stark gepuscht, dabei kommen gar nicht so viele Besucher, um so viele Hotels und Golfplätze zu füllen. Andererseits verstehe ich auch den Wunsch der Menschen nach einem modernen und besseren Leben.

Man merkt Ihrem Film auch an, dass Sie sehr respektvoll mit den Menschen und ihren Sitten umgegangen sind.

Zumindest habe ich mich bemüht. Wenn man das Gute sehen will, dann sieht man auch das Gute. Es gab aber auch Teammitglieder, die es schon bedrohlich und unangenehm fanden, wenn der Muezzin durch die scheppernden Lautsprecher über die Dächer sang. Ich fand das immer toll, aber wir Westler haben so viele negative Informationen über Islamismus und Fanatismus, dass wir in allem, was mit dem Islam zu tun hat, eine Bedrohung sehen.

Welche Erfahrungen haben Sie vor Ort gemacht?

Die Menschen in Marokko sind wahnsinnig höflich, hilfsbereit und gastfreundlich auf geradezu beschämende Weise. Wenn du ein Anliegen hast, wirst du selbst in den entlegenden Dörfern unterstützt und jeder gibt dir sofort Essen und Tee.

War es auch einfach, wenn die Kamera ins Spiel kam?

Im Islam ist es so, dass verschleierte Frauen und Mädchen nicht unbedingt gefilmt werden wollen. Außerdem haben die Marokkaner inzwischen sowieso die Nase voll davon, von Touristen verfolgt und mit Fotoapparaten abgeschossen zu werden. Man kann nicht einfach auf einem belebten Platz eine Kamera aufstellen und anfangen zu drehen. Man braucht eine Filmgenehmigung, und die zu kriegen, ist nicht ganz einfach.

Wie schätzen Sie die politische Situation Marokkos ein?

Als wir drehten, befürchteten wir fast, dass der arabische Frühling auch auf Marokko überspringt, aber davon war dann Gott sei Dank für uns nichts zu spüren. Die Marokkaner sind zum großen Teil ganz zufrieden mit ihrem König, der kein politischer Diktator ist und damit eine ganz andere Akzeptanz genießt. Hinzu kommt, dass die meisten Marokkaner keine Araber sind, sondern Berber, die sich mit einem arabischen Präsidenten eher schwer tun würden.

Bereits „Nirgendwo in Afrika“ drehten Sie in Afrika.

Es gibt Menschen, die sind eher spirituell interessiert und fühlen sich zu Asien hingezogen. Ich fühle mich sehr schnell wohl in Afrika. Wobei es große kulturelle Unterschiede zwischen Kenia und Marokko gibt. Deshalb fällt es mir immer schwer, über Afrika als Einheit zu sprechen. Dennoch bin ich bisher immer schnell zurecht gekommen und habe verhältnismäßig wenig Angst, wenn ich dort bin. In „Exit Marrakech“ geht es um die Annäherung zwischen einem Vater und seinem Sohn.

Wie haben Sie sich als Frau in Ihre männlichen Protagonisten hineinversetzen können?

Ich finde, man muss sich als Geschichtenerzähler und Autor in verschiedene Persönlichkeiten hineinfühlen können. Sonst wären die Geschichten doch schnell erschöpft. In einen 17-jährigen Jungen kann ich mich also genauso gut hineinversetzen wie in einen 55-jährigen Vater. Mich hat in diesem Fall interessiert, wie ein Junge, der kein Kind mehr ist und ohne seinen Vater groß wurde, mit sich klar kommt. Ich beobachte in meinem Umfeld viele junge Männer, die ohne Väter und männliche Bezugspersonen groß geworden sind. Ich stellte mir die Frage, was wird aus diesen Jungs, die so wenig männliche Rollenvorbilder haben. Ich glaube schon, dass es bei ihnen eine große Sehnsucht danach gibt, wer das zweite Teil des Selbst ist.

Dominik Graf ist ebenfalls ein geschätzter Filmregisseur. Ist er damit auch Ihr größter Kritiker?

Nein, er ist mein wichtigster Gesprächspartner, wenn ich einen Film mache. Dominik ist im Unterschied zu anderen Filmemachern in der Lage, unterschiedliche Filmkonzepte als das zu nehmen, was sie versuchen zu sein. Er sagt mir nicht: „Warum eigentlich eine solche Geschichte, erzähle doch etwas, was mich auch interessieren würde.“ Viele gehen zu stark von sich aus. Doch Dominik ist durch sein filmhistorisches Wissen in der Lage, dir zu sagen, ob ein Stoff auf diesem oder jenem Wege funktionieren könnte. Deshalb ist mir seine Meinung immer sehr wichtig.

„Exit Marrakech“ startet am Do, 24.10.

 

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