Filmkritik: Utoya 22. Juli - Überlebenskampf im Kino

Der Film "Utoya 22. Juli" rekonstruiert das Horror-Attentat von Andres Breivik in Echtzeit: ein mutiges, aber misslungenes Experiment.
von  Michael Stadler
Andrea Berntzen spielt auf großartige Weise ein Mädchen im Überlebenskampf.
Andrea Berntzen spielt auf großartige Weise ein Mädchen im Überlebenskampf. © Agnette Brun

Der Film "Utøya 22. Juli" rekonstruiert das Horror-Attentat von Andres Breivik in Echtzeit: ein mutiges, aber misslungenes Experiment.

Erstmal geht alles seinen normalen Gang auf der norwegischen Insel Utøya. Es ist der 22. Juli 2011, fünfhundert Jugendliche vertreiben sich die Zeit im Sommercamp. Dann hören sie von einem Bombenanschlag im Zentrum Oslos.

Kurz darauf fallen Schüsse auf der Insel, bis Panik unter allen ausbricht.Es kommt zu wilden Fluchtbewegungen, erst hinein in ein Gebäude, dann hinaus in den Wald. Kaya versucht verzweifelt, ihre Schwester zu finden, die auch auf der Insel ist. Vergeblich.

Im Wald liegt Kaya mit anderen hinter einem Baum, versteckt sich vor dem Schützen. Und auf ihrem Arm, die Kamera fängt es blitzschnell ein, landet eine Stechmücke. Kaum zu glauben, aber der Moment mit der Stechmücke ist tatsächlich während des Drehs von "Utøya 22. Juli" passiert, keine Spezialeffekte, alles echt.

Der Stich soll weiter schmerzen

Ähnlich wie Sebastian Schippers "Viktoria" hat Poppe sich an einen Film gewagt, der bis auf ein paar Szenen am Anfang aus einer einzigen, 72-minütigen Kamerafahrt besteht. 72 Minuten dauerte der Anschlag des rechtsextremen Täters Anders Breivik auf ein Zeltlager der sozialdemokratischen Jugendorganisation AUF, 77 Menschen kamen ums Leben.

Über eine fiktive Rekonstruktion versucht der Film, eine Tragödie zu vergegenwärtigen, der nach knapp sieben Jahre schon wieder das Vergessen droht. Der Stich soll also weiter schmerzen.

Das blutsaugende Insekt kann als Metapher gelesen werden für eine Attacke auf junge Leben, auf den ganzen Staatskörper. Es ist aber auch ein Sinnbild für einen Film, der die Realität anzapft, um dem Publikum eine Erfahrung zu vermitteln. Im Fall von Poppes Film misslingt dieses Experiment. Denn die Bilder, die sich ja automatisch in eine Geschichte der Kinobilder einschreiben, führen am ehesten hin zum Horrorfilm.

Die wegrennenden Jugendlichen fliehen vor dem Killer, das Mädchen Kaya, großartig gespielt von Andrea Berntzen, ist eine mitfühlende Heldin wie etwa Katniss in den "Tribute von Panem"-Filmen. Der Täter Breivik, das Monster, kommt filmgerecht erst am Ende kurz in Sicht, in der Ferne. Angst als Spektakel.


Kinos: Museum-Lichtspiele (OmU), Monopol (auch Omu), Studio Isabella, R: Erik Poppe (N, 90 Min.)

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