Filmkritik: Dunkirk - Christopher Nolan schafft bewegenden Kriegsfilm

Christopher Nolans bewegender Kriegsfilm "Dunkirk" konzentriert sich auf die Sicht der einfachen Soldaten.
von  Adrian Prechtel
Die britischen Soldaten sind ihrem Schicksal hilflos ausgesetzt. Ihr Oberbefehlshaber (Kenneth Branagh) kämpft gegen zunehmende Anarchie.
Die britischen Soldaten sind ihrem Schicksal hilflos ausgesetzt. Ihr Oberbefehlshaber (Kenneth Branagh) kämpft gegen zunehmende Anarchie. © Warner Bros. & Ratpac-Dune Entertainment LLC

Kriegsfilme bewegen sich auf vermintem Terrain: Machen sie aus dem Schlachten eine patriotische Heldengeschichte, tritt das Grauen oft verheerend in den Hintergrund. Aber auch ein bewusster Antikriegsfilm kann oft den Abenteuer-Kitzel nicht vermeiden.
Was also haben Regisseure mit dem Unfassbaren des Krieges gemacht? Francis Ford Coppola ist mit "Apocalypse Now" vor der Problematik des schmutzigen Vietnam-Kriegs ins großartig Künstlerische und Bizarre ausgewichen. Hollywoods Mann fürs Große – Michael Bay – hat aus "Pearl Harbor" ekelhaften, patriotischen Bombast-Kitsch gemacht. Und den ernsthafteren Steven Spielberg hat es zwischen den Polen Antikriegsfilm und massentauglicher Heldengeschichte mit seinem "Soldat James Ryan" zerrissen.

Nolan findet sein Kriegsthema nicht in Materialschlachten und Massensterben

Christopher Nolans Filmhandschrift – von der "The Dark Knight"-Batman-Trilogie über die Traumwelt von "Inception" bis zum Science Fiction-Film "Interstellar" – hat bei aller Surrealität seiner Sujets immer etwas packend Wirkliches. Er erreicht dieses plastische Gefühl auch, indem er auf allzuviel Digitales verzichtet. Nolan sucht echte Orte, lässt gebaute Kulissen schieben. Und er hat sein eigenes Drehbuch zu "Dunkirk" auf 65-Millimeter-Film gedreht: Das schafft eine dichtere Atmosphäre als viele Digitaltricks.
Nolan findet sein Kriegsthema nicht in Materialschlachten und Massensterben, sondern in einer anderen Ausnahmesituation: Ende Mai 1940 waren 370.000 britische Soldaten zusammen mit französischen Resttruppenteilen von der deutschen Wehrmacht in der nordfranzösischen Atlantikstadt Dünkirchen eingekesselt worden. Deutsche Stukas bombardierten den Strand und die wenigen Evakuierungsschiffe. So ist Nolans Schlüssel zum Kriegserlebnis die nackte Angst. Um sie einzufangen, kreist er zwischen Strand, Meer und Luft.

Beklemmende Perspektive eines Soldaten im Überlebenskampf

Wir begegnen dabei vor allem einfachen Soldaten wie Tommy (Fionn Whitehead), der sich zum Strand nach Dünkirchen durchschlägt und mit allen Mitteln versucht, auf ein Evakuierungsschiff zu kommen, das nach einem Fliegerangriff noch an der Mole sinkt. Und wir sind im Cockpit eines britischen Jagdfliegers (Tom Hardy) schießend unter Beschuss, während der Treibstoff knapper wird. Und wir erleben den traumatisierten, abgeschossenen Kameraden (Cilian Murphy), der von einem englischen Kutter (mit Mark Rylance als besonnenem Kapitän) aufgefischt wird. Währenddessen kämpft der britische Oberbefehlshaber (Kenneth Branagh) gegen die zunehmende Anarchie in der Truppe.

Am Ende kamen den alliierten Soldaten in einer spontanen, riskanten, solidarischen Rettungsaktion weit über hundert private Schiffe zu Hilfe, was das Desaster von Dünkirchen für die Briten doch noch zu einem national-heroischen Mythos machen konnte – mit 330.000 Geretteten.

Nolan aber verweigert sich jeglicher Mythenbildung und erzählt aus der beklemmenden Perspektive des einzelnen Soldaten im Überlebenskampf, der zu Egoismus, Verzweiflungstaten, aber auch zu Selbstlosigkeit und Solidarität führen kann.

Ein kunstvoll-perfekter, packend menschlicher Film

Und der Feind? Die Deutschen bekommen in "Dunkirk" außer durch Geschosseinschläge und Flugzeuge kein Gesicht, weil der in den Blick gefasste einzelne alliierte Soldat ihnen eben nie von Angesicht zu Angesicht begegnet. So interessiert Nolan auch nicht die historisch ungeklärte Frage, warum Hitler die Wehrmacht nach dem Ringschluss um Dünkirchen anhalten ließ. Kaum geht Nolan auch auf die Frage ein, warum Churchill und das britische Oberkommando nicht mehr für die Eingeschlossenen unternahmen.

Bei soviel individueller Menschennähe hätte einzig der Einsatz des Pathos-Kleisterers Hans Zimmer den menschlich fein gewobenen Film ruinieren können. Und wirklich: Wenn am Horizont die zivilen Rettungsschiffe auftauchen, zieht die Streichermusik auf. Aber letztlich hat Nolan seinen Filmkomponisten gezähmt: Zimmer untermalt die Angstatmosphäre überwiegend dezent und runtergefahren mit elektronischen Beklemmungs-Themen-Loops aus metallischen Echolot-, lithurgischen Choranklängen und unterschwelligem Sirenenalarm.

So hat Nolan mit "Dunkirk" einen Film geschaffen, der große Intensität fast ohne Pathos schafft, vom Krieg als unmenschlichen Angstzustand erzählt, nie ins Falsch-Heroische verfällt, ohne dabei die Tapferkeit vieler Soldaten, die es eben auch gibt, zu leugnen.

Ein Kriegsfilm? Ja. Ein Antikriegsfilm? Ganz sicher auch. Aber vor allem ein kunstvoll-perfekter, packend menschlicher Film.


B & R: Christopher Nolan (F/GB/USA, 107 Min.)
Kinos: ARRI, Cinema (OV), CinemaxX, City (OmU), Gloria, Mathäser, Münchner Freiheit (auch OmU), Museum-Lichtspiele

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