Filmfestspiele in Cannes: "Happy End" - wenn die Außenwelt einbricht

Michael Hanekes Festivalbeitrag "Happy End" hinterlässt in Cannes eher ratlose Kritiker.
Direkt am Festivalpalais klebt – noch im selben Betonkomplex – das Spielcasino mit billiger Leuchtreklamen und blinkenden Werbebildschirmen. Eine Glückssträhne wird verheißen. Und wer, wenn nicht Michael Haneke kann auf eine solche hier in Cannes zurückblicken. 2001: der Große Preis der Jury für "Die Klavierspielerin". 2009: Goldene Palme für "Das weiße Band". Und dann gleich für den nächsten Film "Liebe" gab es 2012 erneut den höchsten Preis des Festivals.
So wäre Haneke, mittlerweile 75 Jahre, mit einer dritten Goldenen Palme die einsame Spitze in der Festivalgeschichte. Nur wird es auf der Palmengala am Sonntag für ihn kein "Happy End" geben, wie sein Filmtitel suggeriert. Der aber ist vom österreichischen, pessimistischen Seelen-Sezierer natürlich ohnehin ironisch gemeint.
Jeder Zuschauer soll sich sein Bild selbst machen
Denn am Ende seines Dramas scheitert der Selbstmordversuch eines alten Familienpatriarchen (Jean-Louis Trintignant) und das Familienunternehmen kann die Tochter (Isabelle Huppert) nur noch durch einen Verkauf retten. Zuvor erlebt man eine Großbürgerliche Familie in Endstufe aus Depressionen, Nichtsnutzigkeits-Gefühlen und Ehefassaden, hinter denen perverse Phantasien lauern. Aber das hat man bei Haneke schon alles klüger und überzeugender gesehen. Hanekes Familienpuzzle setzt sich zerstückelt, langatmig und unelegant zusammen. Wenn dann zum Schluss – wie in "Das Fest" von Winterberg – der erwachsene Enkelsohn als Provokation fünf schwarzafrikanische Flüchtlinge auf den Edelgeburtstag des Großvaters mitbringt, ist das nur noch läppisch: betretenes Schweigen und einige Buhs in der Pressevorführung.
Seine Interpretation des Film verriet Haneke in der anschließenden Pressekonferenz wie gewohnt nicht. "Mein Ziel ist, so wenig wie möglich zu sagen, damit die Imagination der Zuschauer absolute Freiheit hat", sagte er. Er versuche zwar, Hinweise zu geben. "Aber die Zuschauer müssen die Antworten selbst finden."
"The Killing of a sacred Deer" - irrational und rätselhaft
Überfordert waren viele Kritiker auch vom griechischen Wettbewerbsbeitrag "The Killing of a sacred Deer". Dabei musste man nur einen Schalter umlegen und etwas Irrationales glauben. Und das ist ja oft die Kunst des Kinos – und hier besonders kunstvoll umgesetzt mit Colin Farrel und Nicole Kidman als reiches Ärzte-Ehepaar.
Nicole Kidman und Colin Farrel als Ärzte-Paar in „The Killing of a sacred Deer“ von Giorgos Lanthimos. Foto: FdC
Ihm ist vor einigen Jahren ein Kunstfehler unterlaufen. Er trifft sich regelmäßig mit dem Jungen, den er zum Halbwaisen gemacht hat. Als er merkt, dass der 16-Jährige einen Racheplan wegen seines gestorbenen Vaters an der Familie des Chirurgen ausübt, ist es zu spät: Seine Kinder werden durch den Fluch des Jungen sterbenskrank.
Regisseur Giorgos Lanthimos unterlegt den grundsätzlich realistischen Blutrachefilm in Ohio mit gewichtiger klassischer, sakraler Musik und erzeugt eine dramatische Wucht, die er mit Hiob- und Abraham-opfert-Isaak-Motiven auflädt. Das alles fesselt die Konzentration, bleibt aber für viele Zuschauer rätselhaft. Aber auch das darf Kino ja sein.
Und witzigerweise taucht das Paar Farell und Kidman morgen in einem weiteren Wettbewerbsfilm auf - "The Beguilded" von Sophia Coppola. So ist Nicole Kidman hier ein Stern des Festivals – aber nicht für die Familie: "Meine Kinder sehen meine Filme gar nicht", sagte die 49-jährige Oscarpreisträgerin.