Filmfestival in Cannes: Die Zeit der Helden kehrt zurück

Tom Cruise ist da - und das sagt leider auch etwas über die aktuelle Schwäche von Cannes. Denn eigentlich verlangt das Festival von Filmen der offiziellen Auswahl, dass sie ihre Weltpremiere an der Cote d'Azur haben.
Verkehrte Welt: Cannes schmückt sich mit Action-Film
"Top Gun: Maverick" aber war schon unter der Woche in San Diego (Kalifornien) zu sehen, was wiederum auch gegen den Zustand dieses ehemaligen "Independent"-Festivals spricht, das Robert Redford 1978 ja als Gegengewicht zu den Hollywoodstudios gegründet hatte...
Verkehrte Welt also. Cannes schmückt sich mit dem Action-Film, der 1986 seinen Welterfolg hatte und jetzt - 36 Jahre später, seine Fortsetzung findet. Und das Bizarre: Noch vor wenigen Wochen wähnte sich die westliche Welt im postheroischen Zeitalter, wo patriotische Flieger-Asse auf fast unmöglicher Heldenmission aus der Zeit gefallen wirkten.
Stehende Ovationen: Selenskyj 20 Minuten lang live zugeschaltet
Aber alles ist jetzt anders, auf der Eröffnungsgala, auf der Forest Whitaker unter Tränen echter Rührung die Goldene Ehrenpalme bekam, war für 20 Minuten live Wolodymyr Selenskyj zugeschaltet, der in Militärolivgrün die richtigen Worte fand und vor dem Galapublikum den Kampf des Kinos gegen Affen-"Diktatoren" am Beispiel von Charles Chaplins "Großem Diktator" beschwor.
Er erinnerte daran, dass das Festival in Cannes als anti-faschistisches Festival schon 1939 gegründet wurde, ehe es als Nachkriegsfestival 1946 wirklich begann. Natürlich standen am Ende im Saal alle applaudierend auf.
Befremdlich: Zombies eröffnen die 75. Filmfestspiele von Cannes
Dass jetzt ausgerechnet ein Zombiefilm das 75. Festival du Film eröffnet hat, ist daher eher befremdlich. Man muss Regisseur Michel Hazanavicius zugestehen, dass den Ukrainekrieg nur wenige ahnten, und man auch in kriegerischen Zeiten durchaus unterhalten darf.
Und das tut "Final Cut!", weil dieser Splatterfilm nach 30 Minuten bereits zu Ende ist. Nach dieser Wendung kommt er zum eigentlichen Thema, das dem Programmdirektor des Festivals, Thierry Frémaux, gut gefallen hat: die Leidenschaft des Filmemachens gegen alle Chancen.
Romain Demis spielt einen gescheiterten Regisseur, der das Angebot bekommt, für wenig Geld, ein Zombie-Remake eines japanischen Kultfilms in einem Zug ohne Schnitt durchzudrehen.
Natürlich dreht der Regisseur durch, denn alle Schauspieler entpuppen sich als Diven, Nieten oder fallen ganz aus, so dass er seine Frau (Bérénice Bejo, wirklich die Frau von Hazanavicius) einbauen muss, und am Ende rettet sogar noch die Teenietochter (wirklich die Tochter der beiden) das ganze Projekt.
Der Witz besteht darin, dass man Szenen, die zunächst katastrophal schlecht wirkten, aus der Macherperspektive sieht - und die Zwänge, unter denen sie entstanden sind. Das nehmen die Zuschauer von Julianne Moore bis Rossy de Palma, von Asghar Farhadi bis Noomi Rapace im Grand Théatre Lumière nach Selenskyjs Zuschaltung und einer traurigen Friedens- und Menschenrechts-Rede des diesjährigen Jury-Präsidenten Vincent Lindon mit befreiendem Lachen auf,
Tom Cruise: Fast manische Lust an spektakulären und gefährlichen Stunts
Da kam auch der aggressiv-optimistische "Top Gun - Maverick" gerade recht - mit Jennifer Connelly, Val Kilmer, Ed Harris und eben Tom Cruise, dem man hier eine Hommage widmet und der auch live anderthalb Stunden seine Weltsicht und Kinosicht in einer Séance spéciale im Filmsaal Debussy vor über 1.000 Zuschauern erläutern durfte.
Tom Cruise gefällt sich seit Jahren als letzter Heros des US-Actionkinos. Seine fast manische Lust an spektakulären und gefährlichen Stunts spiegelt sich auch "Top Gun 2". Diesmal ist Cruise der "alte" Lehrmeister, der die jungen Kadetten, die "Besten der Besten" der Air Force, auf ein Himmelfahrtskommando vorbereiten soll.
"Top Gun: Maverick" bleibt gutes Popcorn-Unterhaltungskino
Natürlich steigt der alterslose 59-Jährige mit Fliegerjacke und Aviator-Sonnenbrille am Ende selbst wieder in den Kampfjet, um den Youngstern noch einmal zu beweisen, dass eine Altersangabe auch nur eine Zahl ist. Von den US-Kritikern wurde "Top Gun 2" als Blockbuster alter Schule und als handfeste Antithese zum steril künstlichen Comic-Kino bereits euphorisch aufgenommen.
Für den großen Rest der Welt rührt Cruise in Cannes gerade die Werbetrommel - auch mit seinem unverwechselbaren Haifischgrinsen, das auch härteste Kritiker vom Biss seines Films überzeugen soll. Und so ist es auch: "Top Gun: Maverick" bleibt einfach gutes Popcorn-Unterhaltungskino, und das ist nicht das Schlimmste, solange der Jerry-Bruckheimer-Patriotismus nicht gleich aus jeder Düse spritzt.